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120 Euro in Rechnung stellen will. Ich erinnere mich an ein paar Zeilen aus dem China-
Knigge, in denen beschrieben stand, dass Chinesen kein größeres Unbehagen empfinden
können, als wenn sie in einen öffentlichen, lauten Streit geraten. Hansen nutzt diese
Schwachstelle. Die kleine Hotelmanagerin tut mit fast leid, als er ihr auf Englisch vor al-
len Gästen erklärt, wie unter aller Sau das Zimmer war. Und es wirkt. Wir bekommen
sogar unsere Kaution zurück. Man glaubt uns endlich, dass wir alles im Voraus bezahlt
haben und die undichte Toilette wohl eher ein Grund wäre, unseren Aufenthalt zu ver-
günstigen. Siegreich ziehen wir Leine und schleppen uns mit letzter Kraft etwa 30 Kilo-
meter bis zum Fuß des Himalaja. In meinem Zustand komme ich mir fast lächerlich vor,
die vor mir liegenden Berge herausfordern zu wollen. Erschöpft essen wir die Reste aus
dem Restaurant, die wir uns haben einpacken lassen, und Hansen kotzt sie eine Stunde
später wieder aus.
Am nächsten Tag schlafen wir aus und schaffen es nicht weit. Noch immer sitzt mir die
vorgestrige Nacht in den Knochen. Wir schleppen uns in die Berge und streichen nach
40 Kilometern die Segel. »Es hat keinen Sinn, lass uns morgen früh raus und die 40 Ki-
lometer nachholen«, sagt der vernünftige Hansen und steuert auf einen kleinen Strand
an einem Stausee zu.
Um zumindest irgendetwas geleistet zu haben, verbringe ich den Abend damit, end-
lich mal wieder einen Blogpost in mein Handy zu tippen. Das muss ein ziemlich dämli-
ches Bild abgeben, denke ich und schäme mich. Am Strand eines türkisblauen Stausees,
umgeben von den riesigen Bergen des Himalaja, sitze ich und starre auf mein Display.
Aber es muss getan werden.
Wie ein Wecker, der mich im Halbschlaf aus den Gedanken reißt, ertönt in der Ferne
und dann immer näher kommend das Signal der Tibet-Bahn, die gerade aus 5000 Me-
tern angerattert kommt. Das Klappern der Räder und das Hallen des Tones verebbt wei-
ter unten im Tal. Irgendwie erinnert mich das Geräusch an meine Kindheit, an das Ba-
den im Öhninger Freibad im Bodensee und an die auf der gegenüberliegenden Seeseite
hupend vorbeifahrende Schweizer Regionalbahn. Hansen muss an etwas Ähnliches ge-
dacht haben, denn er stimmt das Lied von den Kings of Convenience an, das schon fast
zum Soundtrack unserer Tour geworden ist. Wir singen grinsend zwei Zeilen, bevor un-
sere Blicke wieder in unseren Telefondisplays versinken: »The spinning top made a sound like a
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