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tags die Sonne so gnadenlos brennt, bauen wir am Straßenrand unser Tarp zwischen den
Rädern auf und machen eine ausgedehnte Mittagspause.
Später knallen wir uns irgendwo in die sandige Wüste, hier ist es eh überall gleich.
»Lass uns morgen superfrüh losfahren, bevor es wieder so knalleheiß wird«, schlage ich
vor.
»Aye, aye, altes Wüstenkamel«, antwortet Paul.
Wir werden belohnt. Als wir um halb fünf morgens aus dem Zelt kriechen, ist es
noch dunkel, und wir schauen in einen Sternenhimmel, wie wir ihn noch nicht gesehen
haben. »Das haben wir der Höhe und der trockenen Luft zu verdanken.« Ich schaue vol-
ler Ehrfurcht in den Himmel. Man sieht wirklich unglaublich viele Sterne. »Jetzt weiß
ich, warum China als Flagge den Sichelmond und einen Stern darin hat«, sagt Paul an-
dächtig.
Immer vermisst man, was man gerade nicht hat. Ich freue mich auf Golmud, weil eine
Stadt in meinen Gedanken mit leckerem Essen verbunden ist. »Goldmund«, nenne ich
sie insgeheim und denke an knusprige Hähnchen, die mir in den geöffneten Mund flie-
gen, Nudeln, Brot, einfach alles, das kein Instantfood ist. Ich bin diese Compressed Ar-
my Biscuits, mit denen wir uns in der Wüste über Wasser gehalten haben, so dermaßen
leid. Und auch wenn man hier mal auf ein Trucker-Restaurant trifft, kann man nichts
anderes erwarten als haltbare Pulversuppen, Chips, Kekse und solche Dinge, weit und
breit nichts Frisches. Um uns in der kargen Gegend bei Laune zu halten, spielen Paul
und ich das beliebte Schätzspiel. Wir fixieren einen Punkt am Horizont, einen Masten
zum Beispiel, und schätzen, wie weit er entfernt ist. »15«, sagt Paul, ich schätze zwölf
Kilometer. In Wahrheit sind es diesmal 35. Beim nächsten Pünktchen am Horizont
schätzt Paul 10 und ich vorsichtshalber großzügige 20, bis wir merken, dass der Punkt
sich auf uns zubewegt. Es sind Alexe und Jascha, zwei russische Radfahrer, die schwer
bepackt auf dem Weg in die Berge sind. Nahrung für ganze dreißig Tage hätten sie da-
bei, erzählen die beiden. Es sind die ersten nicht-chinesischen Radfahrer, die wir seit
sehr langer Zeit treffen. Wir machen ein kleines Picknick und fahren danach jeder unse-
res Weges.
Als wir am nächsten Tag nach einem knapp 140 Kilometer-Wüsten-Abschiedssprint -
ausnahmsweise mit Rückenwind - kurz vor Golmud sind, hupt uns plötzlich ein entge-
genkommender Pick-up an, um mit quietschenden Reifen zu wenden und telefonierend
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