Travel Reference
In-Depth Information
gleiche Hand bohrt in der Nase, greift nach dem Geld, wischt sich den Schweiß ab und
das Fett ins Gesicht, und drückt dem Kumpel freundschaftlich die Pranke. Trotzdem, und
ich kann es mir nicht erklären, ist der Markt unglaublich appetitlich! Alles dampft, zischt
und klappert. Hansen und ich beschließen, uns hineinzustürzen und lassen uns von
Stand zu Stand treiben, probieren hier und dort etwas, bis wir voll sind, sogar einen
Lammkopf inklusive Gehirn und Zunge essen wir.
Völlig überwältigt und erschöpft kommen wir zurück ins Hostel. Einer der Radfahrer,
die uns am Nachmittag noch »beraten« oder eher gesagt demotiviert haben, kommt uns
im Flur entgegen: »Und? Schon entschieden, wo's langgeht?«, fragt er, und Hansen ant-
wortet gespielt todernst: »Am besten einfach zurück nach Hause. Die Welt ist gefährlich,
und wir wollen kein Risiko eingehen«. Der Mann schaut etwas verdutzt, und wir ver-
schwinden mit ein paar Dosen Bier auf die Terrasse.
»Hansen, das ist doch echt zum Kotzen. Egal, wo wir entlang wollen, immer wieder
wird uns davon abgeraten: Hier ist es langweilig, da steht die Polizei, hier ist eine Rake-
tenstation, dieses Gebiet ist umkämpft zwischen Indien und China, hier gab es letzte
Woche Unruhen, dort dürfen nur Einheimische rein … soll das heißen, wir haben den
besten Teil unserer Tour nach gut der Hälfte hinter uns?« Hansen schaut mich an, trinkt
den letzten Schluck aus der Dose und zerknüllt sie in der rechten Hand. »Nein«, sagt er
plötzlich sehr entschlossen und steht feierlich auf. »Nein, Paul, nicht mit uns. Lass uns
entgegen all diesen Empfehlungen unserem Glück vertrauen und so naiv sein, es trotz-
dem zu probieren. Du hast es vorhin selber gesagt, alle hier erzählen, ›dass sie gehört ha-
ben, dass…‹, aber ich habe nicht einen Radfahrer getroffen, der gesagt hat: ›Ich war da,
und man kommt nicht durch!‹ Ich will das selber erleben, sonst werfe ich mir den Rest
meines Lebens vor, dass es eventuell doch hätte klappen können!«
Wir haben inzwischen schon jeder unser drittes Bier intus, und ich bin von Hansens
Rede restlos begeistert. »Jawoll, du hast recht«, pflichte ich ihm bei. »Was ist los mit
uns? Seit wann schrecken wir davor zurück, dass jemand sagt: Das geht nicht. Lass uns
nach Tibet fahren! Das ist schließlich unser Traum! Wir wären gar nicht hier, wenn wir
immer auf andere gehört hätten. Wir fahren bis zum ersten Checkpoint und werden dort
mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit abgewiesen, aber für die fünf Prozent will ich's
versuchen! Wir kuschen jetzt nicht. Sollen uns die Leute doch für doof halten und naiv
und was weiß ich noch, ich will zumindest sagen können: Ich hab's versucht!«
Search WWH ::




Custom Search