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»Verdammt«, sagt Hansen und holt die Karte raus, »wir sind schon am nächsten
Stausee«. Und tatsächlich haben wir unser Zelt auf einer Halbinsel in einem Wasserreser-
voir aufgebaut, das offenbar jeden Abend aufgestaut wird.
»Wird das hier komplett überschwemmt?« Ich beginne, panisch die Sachen um mich
herum einzupacken. »Ich glaube nicht. Guck mal, die Wasserhöchstkante kann man da
sehen«, sagt Hansen und zeigt auf die Felswand gegenüber. »Wenn das Wasser da auf-
hört zu steigen, können wir uns entspannen - wenn nicht … nichts wie weg oder
schwimmen.«
Glücklicherweise stoppt das Wasser exakt an der Linie, die sich auf der Felswand ab-
gezeichnet hat, und wir kriechen beruhigt ins Zelt. Kurze Zeit später ist es mit der Idylle
vorbei. Hansen, der sich schon die letzte halbe Stunde über Magenschmerzen beschwert
hatte, bäumt sich ruckartig auf und reißt am Zeltverschluss. Er schafft es noch zum Ufer
und entleert seinen gesamten Mageninhalt in das türkisblaue Wasser. Und noch mal,
und noch mal. »Geht's Hansen?«, frage ich, in der Hoffnung, dass es nichts zu helfen
gibt, denn mir wird allein von dem würgenden und anschließend plätschernden
Geräusch übel. Hansen gibt keine Antwort und ringt stattdessen nach Luft, um sich dann
erneut zu übergeben. Ich bringe ihm Wasser und Toilettenpapier und verziehe mich
schnell wieder. Nach etwa einer Stunde kriecht er völlig zerstört zurück ins Zelt. »Das
waren diese Scheißaprikosen, oder vielleicht waren es ja auch gar keine Aprikosen …«,
murmelt er und schläft erschöpft ein.
Am nächsten Morgen geht es ihm nicht besser. Die Krankheit hat sich auf den Darm
ausgebreitet, und weder festes Essen noch Flüssigkeiten bleiben lange in seinem Magen.
»Nur gut, dass wir einen kühlen schattigen Platz haben«, tröste ich ihn, »wir bleiben
hier, bis du gesund bist.«
Ich baue aus meinen Schlafsack und ein paar Stöcken eine Art zweite Zeltdecke, um
das Zelt vor der direkten Sonne zu schützen. Wenn Hansen wach wird, füttere ich ihn
vorsichtig mit kleinen, trockenen Brotstückchen und flöße ihm Tee ein, damit er lang-
sam wieder zu Kräften kommt. Immer, wenn einer von uns beiden schwächelt, bin ich
heilfroh, dass wir nicht allein unterwegs sind. Was macht Nils, wenn es ihm richtig dre-
ckig geht? Wenn er so schwach ist, dass er nicht einmal vermitteln kann, was ihm fehlt,
oder noch schlimmer: wenn überhaupt kein Mensch in der Nähe ist, der ihm zur Hilfe
kommen könnte?
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