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Viele Köche verfeinern den Brei
Da hier das Volk alle paar Monate aufgerufen ist, auf allen möglichen Ebenen über alles
Mögliche zu entscheiden, könnte der Eindruck entstehen, es gebe keine Obrigkeit, die das
Land regiert. Das Schweizer System der Gemeindeselbstverwaltung und Referenden ver-
schiebt zwar eine Menge Macht nach unten (das heißt zur Wählerschaft), doch das heißt
nicht, dass es kein »oben« gäbe. Wobei auch die Spitze - wir sind hier in der Schweiz - ei-
ne einzigartige Struktur hat, die exemplarisch ist für die Schweizer Haltung zur Politik:
Nie liegt die Zuständigkeit bei nur einer Person.
Die Schweiz wird von einem Ausschuss regiert. Dank dem Verhältniswahlrecht und den
vielen Parteien ist der regierende Rat auf jeder Ebene fast immer eine Koalition. Die Zu-
sammensetzung von Parlament und Rat und die Größe der Organe sehen in jedem Kanton
anders aus, daher begnüge ich mich mit einem Blick auf die Bundesebene, um zu zeigen,
wie Regieren durch Kompromisse tatsächlich funktioniert.
Die eigentliche Regierung ist der Bundesrat. Er besteht aus sieben Mitgliedern und ist
eine permanente Koalition, in der nie eine Partei oder eine Person allein das Sagen hat. Je-
des Bundesratsmitglied ist für ein Ressort zuständig, also für Finanzen oder Auswärtige
Angelegenheiten oder (mein Favorit) Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport : Vermut-
lich ist die Schweiz das einzige Land, wo der Verteidigungsminister zugleich für den
Sportunterricht verantwortlich ist. Diese Departementsvorsteher und -vorsteherinnen
übernehmen abwechselnd für jeweils ein Jahr die Präsidentschaft, leiten aber ihr eigenes
Ressort in dieser Zeit weiter. Nicht, dass der Bundespräsident oder die Bundespräsidentin
mehr zu sagen hätte als die anderen, aber einer muss ja das Händeschütteln bei Staatsbe-
suchen übernehmen und am 1. August die Rede halten.
Gewählt wird der Bundesrat alle vier Jahre von der Bundesversammlung und nicht
durch Volksabstimmung - das einzige Mal, dass das Volk in der Schweizer Politik nicht di-
rekt entscheidet. (Allerdings gab es bereits mehrere Anläufe, das zu ändern, den letzten
startete 2010 die Schweizerische Volkspartei ( SVP ) mit einer »Initiative zur Volkswahl des
Bundesrates«. Wenn genügend Unterschriften zusammenkommen, wird darüber in einem
Referendum abgestimmt.) Damit will man verhindern, dass es Präsidentschaftswahlkam-
pagnen gibt oder dass Partei-, Kantons- oder sprachliche Loyalitäten das Ergebnis beein-
flussen. Zugleich will man den Bundesrat als eine übergeordnete Körperschaft definieren,
die über dem politischen Gezänk steht. Was diese Wahlen ziemlich langweilig und voraus-
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