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Stabilität, Wohlstand, Gemeinschaft
Die Schweizer behaupten zu Recht, dass die direkte Demokratie, so langsam sie auch sein
mag, die Basis für die Stabilität und den Wohlstand ihres Landes ist. Einfach nur eine Fö-
deration zu gründen genügt nicht, um eine Nation zu werden: Das sah man in den 1860er-
Jahren an den gar nicht so Vereinigten Staaten oder in den 1990er-Jahren an Jugoslawien.
Wenn man das Volk hingegen nicht nur alle vier Jahre, sondern ständig einbezieht, hat je-
der die Chance, sich zu äußern, und jeder fühlt sich zugehörig. Es stimmt zwar leider, dass
dieser Prozess manchmal missbräuchlich in Gang gesetzt wird, um Kampagnen zu Einzel-
fragen zu führen, aber das ist die Ausnahme. Viel häufiger ist die Einleitung eines Referen-
dums die Rettung, wenn sich irgendetwas hochzuschaukeln droht.
Ein gutes Beispiel hierfür ist der jurassische Separatismus Ende der 1970er-Jahre. Jede
infrage kommende Gemeinde wurde aufgefordert, sich für den Verbleib im Kanton Bern
oder für den neuen Kanton Jura zu entscheiden. Eine Reihe lokaler Referenden löste jedes
Problem, ließ die Aufrührer verstummen und schuf den jüngsten Schweizer Kanton. Eine
Entscheidung, die selbstverständlich noch durch ein bundesweites Referendum bestätigt
werden musste. Grenzen werden hier nicht per Dekret gezogen, sondern von den Men-
schen, die davon betroffen sind - womöglich der einzig mögliche friedliche Weg. Folglich
konnten sich auch die französischsprachigen protestantischen Gemeinden entlang der neu-
en Grenze entscheiden, ob sie eine religiöse Minderheit in einem katholischen Kanton oder
eine linguistische in einem deutschsprachigen Kanton sein wollten. Sie stimmten für Letz-
teres.
Seine Detailgenauigkeit auch noch auf der Mikroebene verleiht dem Schweizer System
genug Durchsetzungskraft und Flexibilität, um fast jede Streitfrage beizulegen, und das
nicht nur dank den Referenden. Zwar ist die Schweiz in 26 Kantone aufgeteilt, doch beina-
he ebenso wichtig ist die kleinste Einheit der Schweizer Politik: die Gemeinde , französisch
commune . 2011 gab es mehr als 2500 Schweizer Gemeinden mit einer Einwohnerzahl zwi-
schen 20 und 370 000. Allerdings ist ihre Zahl ständig im Sinken begriffen, weil die kleine-
ren ums Überleben kämpfen und deshalb oft freiwillig mit ihren Nachbargemeinden fusio-
nieren. Jede Gemeinde ist eine Art Minirepublik für sich, Entscheidungen werden entwe-
der von einem gewählten Rat oder, weit häufiger, von einer Jahresversammlung aller
Stimmberechtigten getroffen. Sie ist verantwortlich für die Daseinsvorsorge, also Schulen,
Straßen, Polizei, Wasserversorgung und Gesundheit. Auch hängt die Höhe der Einkom-
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