Travel Reference
In-Depth Information
zwischen Katholiken und Protestanten erfolgte erstaunlich rasch und hat seither Bestand.
Und das hängt mit der besagten Generalüberholung des Landes zusammen.
Es war das Ende des Staatenbunds und der Anfang des Bundesstaats. Die damals erlas-
sene Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft sah eine Zentralregierung
und ein Parlament in der neuen Hauptstadt Bern vor. Die Machtbefugnisse der Kantone
wurden beschnitten, aber sie blieben so weit selbstständig, dass sie ein Gegengewicht
zum Bundesrat bildeten und die Katholiken zufrieden waren. Fortan war die Schweiz ein
Bundesstaat, und ihre neue Regierung brachte Ordnung ins Chaos und gab den Bürgern,
was sie seither wollen: anständige Vorschriften und Verordnungen. Durch die Abschaf-
fung interner Zölle entstand ein gemeinsamer Markt, man einigte sich auf eine gemeinsa-
me Währung, und die Schweizer durften ihren Wohnsitz frei in einem beliebigen Kanton
wählen. Insgesamt ein ähnlicher Prozess, wie er im 20. Jahrhundert in der Europäischen
Union stattfand, was beweist, dass die Schweizer uns in allem voraus waren.
Die neue Verfassung war eine pragmatische, friedliche Lösung für ein hartnäckiges
Problem und wurde zum Vorbild für Konfliktlösung nach Schweizer Art. Seither bestim-
men praktisch in jeder Lebenssphäre Verständigung und Kompromiss die Schweizer Hal-
tung. Von Regierung und Politik über Wirtschaft und Finanzen bis hin zu Gemeinden
und Vereinen ist der Konsens die anerkannte Lösung. Sorgfältig erwogene Beschlüsse
entsprechen der Schweizer Wesensart viel mehr als rasches Handeln. Kaum eine Ent-
scheidung wird getroffen, ohne zuvor alle Argumente, Möglichkeiten, Auswirkungen und
Standpunkte zu betrachten, sodass das Ergebnis für jeden, zumindest aber für die Mehr-
heit, akzeptabel ist. Dieser umfassende Ansatz ist fair und lobenswert, sorgte aber bereits
im 19. Jahrhundert für ein ermüdend langwieriges und schwerfälliges Prozedere.
Für die Außenwelt hatte diese neue Politik damals kaum eine Bedeutung, denn man
befand sich auf dem Höhepunkt des europäischen Imperialismus. Alle anderen waren
vollauf damit beschäftigt, sich Imperien zu schaffen, wettzurüsten, Ureinwohner zu be-
kehren und Kolonien auszuplündern, und sie nahmen kaum Notiz von einer Nation, die
auf dem Konsensprinzip gründete. Allerdings sollte sich das durch die Ereignisse eines
Jahres ändern, die den Blick der Welt auf die Schweiz lenkten.
Search WWH ::




Custom Search