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Mein Name ist Tell, Wilhelm Tell
Die nächsten Kilometer auf dem Weg der Schweiz gelten den von Napoleon geschaffenen
sechs Kantonen, die allesamt 1803 beitraten, vergleichbar der großen EU -Erweiterung von
2005. Die Wiedergeburt der Konföderation fiel mit dem Wiederauftauchen eines Schweizer
Volkshelden zusammen: Wilhelm Tell. Dank dem von einem Deutschen verfassten Thea-
terstück und dem von einem Italiener komponierten Ohrwurm wurde Herr Tell in ganz
Europa bekannt. Heutzutage würde er wahrscheinlich als Terrorist ohne Verfahren im
Kerker landen, aber Anfang des 19. Jahrhunderts war die Romantik der letzte Schrei und
Tell wurde ein Held à la Robin Hood. Für die Schweizer war er das immer schon gewesen,
aber dass die Legende die internationale Bühne betrat, passte nicht schlecht zum weiteren
Aufbau der Nation. Das Problem ist nur, dass niemand weiß, ob es ihn wirklich gab, ob-
gleich die Leugnung seiner Existenz für Schweizer Nationalisten dem Hochverrat gleich-
kommt. Und weil Wilhelm als Kind dieser Berge gilt, scheint es angebracht, hier und jetzt
seine Geschichte zu erzählen.
Jede Legende hat einen Bösewicht, und in dieser ist es ein Österreicher (was sonst?) na-
mens Hermann Gessler. Als neu eingesetzter habsburgerischer Landvogt zu Altdorf, dem
Hauptort des Kantons Uri, steckt Gessler seinen Hut auf eine Stange auf dem Marktplatz
und fordert, jeder Untertan müsse die Kopfbedeckung grüßen. Unser Held, der mit seinem
Sohn Walter in die Stadt kommt, nickt dem Hut nicht einmal zu und wird prompt verhaf-
tet. Gessler bietet Tell die Freiheit, wenn es ihm gelinge, einen Apfel von Walters Kopf zu
schießen. Selbstredend trifft Tell, ein herausragender Armbrustschütze, den Apfel. Unbe-
eindruckt fragt Gessler Tell, warum er einen zweiten Pfeil zur Hand genommen hat. Als
Tell ihm sagt, der sei für den Landvogt bestimmt gewesen, falls der erste nicht den Apfel,
sondern Walters Kopf gespalten hätte, lässt der erboste Landvogt ihn auf die Burg nach
Küssnacht am anderen Ufer des Vierwaldstätter Sees verschleppen. Glücklicherweise
kommt während der Überfahrt ein Sturm auf, und Tell rettet sich mit einem Sprung ans
nahe Ufer. Zu Fuß erreicht er Küssnacht, lauert dem Vogt in der Hohlen Gasse auf und er-
ledigt ihn durch einen Pfeilschuss ins Herz. Tell ist ein Held, der Bösewicht tot und die
Schweizer sind ermutigt, den Freiheitskampf gegen diese heimtückischen Österreicher auf-
zunehmen.
Auf dem Altdorfer Marktplatz steht heute das Telldenkmal, ein bärtiger Hüne mit brei-
ter Brust, der eher an Little John als an Robin Hood erinnert. Jeden Sommer wird Schillers
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