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hielt ich E -Mails von glücklichen Lesern aus der ganzen Schweiz und dem befreundeten
Ausland. Anscheinend sind die Schweizer, wie jede andere Nation, neugierig darauf, wie
andere sie wahrnehmen, vor allem wenn dieser »andere« in ihrer Mitte lebt. Wie es ein
Leser formulierte: »Ich schätze immer den Blick von außen auf Dinge, die so vertraut und
alltäglich sind, dass wir gar nicht darüber nachdenken.« Anderen gefielen die Beschrei-
bungen in dem Buch - »Ich habe mich und mein Land in dem Buch wiedererkannt« lau-
tete ein typischer Kommentar - und die Beobachtungen: »Sie zeigen Zuneigung zu dem
Land, ohne ein unrealistisches Paradies auf Erden daraus zu machen, und sind kritisch,
ohne beleidigend zu werden.«
Dass so viele Menschen sich die Zeit nahmen, mir E-Mails zu schreiben, erfreute und
erstaunte mich. Aber das war nichts im Vergleich zu den nichtvirtuellen physischen
Rückmeldungen. Positive Reaktionen begegneten mir auf Schritt und Tritt: in der Berner
Trambahn Linie 9, in einem Zürcher Supermarkt, zu Fuß unterwegs in Genf, an meinem
Arbeitsplatz. Anfangs wusste ich nicht so recht, was ich von dieser unerwarteten Offen-
heit seitens mir unbekannter Schweizer halten sollte - nach sechs Jahren in der Schweiz
eine ganz neue Erfahrung. Und selbstredend fragte ich mich, wie es dazu kam. Hatte das
Buch sie so tief berührt, dass mir die Schweizer das bei einem Restaurantbesuch mitteilen
mussten? Meinten sie, mir als Fremdem würde es nichts ausmachen, wenn ich beim To-
matenkaufen angesprochen werde? Vielleicht glaubten sie ja, mich nach der Lektüre mei-
nes Buchs ein wenig zu kennen? Oder sie hatten mich im Schweizer Rundfunk gehört
oder einen der vielen Zeitungsartikel gelesen und hielten mich daher für einen zugängli-
chen Menschen? Was auch der Grund gewesen sein mag, die Resonanz war ein schönes
Erlebnis. In einer Zeit, in der die Politik in der Schweiz immer fremdenfeindlicher wird,
ist es erfrischend, dass so viele Schweizer sich mit diesem einen Ausländer persönlich
austauschen wollen.
Natürlich gab es auch Schattenseiten. Ein Mann hatte Einwände gegen meine Ausfüh-
rungen über den Zweiten Weltkrieg; eine Frau weigerte sich, das Buch zu kaufen, weil es
meinem Lebenspartner gewidmet ist; eine andere meinte, ich hätte es besser beim Blog
bewenden lassen sollen (obwohl der Blog auf www.dicconbewes.com nach dem Buch
kam). Aber auf jede negative Reaktion kamen 99 positive, nicht zuletzt indem das Buch
dazu beitrug, dass in der Schweiz mehr öffentlich gelacht wurde - »meine plötzlichen
Lachanfälle brachten mir seltsame Blicke der Leute in meiner Umgebung ein (es müssen
wohl ebenfalls Schweizer gewesen sein)«. Und der vielleicht faszinierendste Aspekt war,
dass die Leute meine Einschätzungen teilten, sich selbst aber als Ausnahme betrachteten.
Das passierte fast immer, wenn ich irgendwo gesprochen oder gelesen habe. »Ja«, hieß es,
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