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Wie das mit der Neutralität angefangen hat
In der Geschichte eines jeden Landes kommt ein Zeitpunkt, an dem es sich übernimmt
und eine demütigende Niederlage einstecken muss. Die Schweiz macht da keine Ausnah-
me. Was für Großbritannien die Suezkrise und für Amerika Vietnam, das war für die Eid-
genossen Marignano. Nachdem sie die Burgunder vernichtend geschlagen hatten, bewie-
sen die Schweizer immer wieder ihr militärisches Können, sie besiegten abermals die Ös-
terreicher, eroberten das Tessin und nahmen dann den Franzosen Mailand weg. 1515 folgte
der Gegenschlag Frankreichs, und zwar bei dem Dörfchen Marignano (heute: Melegnano)
in der Lombardei. Das Undenkbare geschah: Die scheinbar unbesiegbaren Schweizer Trup-
pen erlitten eine blutige Niederlage. Doch nicht diese verlorene Schlacht an sich war so
bedeutsam, sondern wie die Schweizer darauf reagierten. Im Unterschied zu anderen Ger-
negroßmächten zogen sie nicht etwa los und eroberten eben andere Gebiete wie die Briten
nach dem Verlust ihrer amerikanischen Kolonien. Sie kämpften auch nicht einfach weiter,
während ihre Welt langsam zerfiel, wie es die Römer einige Jahrhunderte lang taten. Nein,
sie schlossen Frieden mit den Franzosen, gaben ihnen Mailand zurück und beschlossen,
nie wieder zu kämpfen. Gegen niemanden. Das war der Anfang der Schweizer Neutralität,
wie wir sie kennen, obwohl ihre formale Anerkennung durch die Großen und Mächtigen
noch bis ins 19. Jahrhundert warten musste.
Natürlich sind manche anderen Dinge wichtiger als das Niederlegen der Waffen. Zum
Beispiel das Geldverdienen. Und wenn all die strammen jungen Männer nicht mehr aus-
ziehen, um Feinde zu töten, könnten sie am Ende noch aufeinander losgehen. Die ideale
Lösung war, sie an jene zu vermieten, die eine Armee brauchten. Warum selbst Kriege
führen, wenn man Geld dafür bekommt, die Scharmützel anderer auszutragen? Menschen
waren somit einer der ersten Schweizer Exportartikel - selbstverständlich mit dem Güte-
siegel »Made in Switzerland«. Und es waren nicht einzelne Freiwillige, sondern ganze Ba-
taillone mitsamt ihren Offizieren, die von den Kantonen vermietet wurden.
Schweizer Soldaten stritten und starben fortan für fast alle europäischen Mächte. Sie
kämpften sogar gegeneinander, wenn sie bei Kriegsgegnern im Sold standen. In die Ge-
schichte gingen sie ein mit der sinnlosen Verteidigung der von der Königsfamilie geräum-
ten Tuilerien im August 1792, bei der mindestens 600 Schweizer Söldner fielen, ein Massa-
ker, an das heute das traurige Löwendenkmal von Luzern erinnert. Söldnertruppen schaff-
te die Schweiz erst Mitte des 19. Jahrhunderts ab - bis auf eine: die Schweizergarde des
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