Travel Reference
In-Depth Information
Gästebuch. Die wenigsten scheinen zu merken, dass sie hier einem Trugbild aufsitzen,
dass hier eine touristentaugliche Disney-Heidi mit Souvenirpotenzial geschaffen wurde.
Das alles scheint Welten entfernt von den anderen Spyri-Stationen meiner Heidi-Suche:
dem Grab in Sihlfeld, dem Haus in Zürich, dem Museum in Hirzel - alles ganz unauf-
dringlich, so typisch Schweiz. Kein Rambazamba, kein Rummel, der die Verbindung zu
Johanna Spyri aufbauscht oder verfälscht, damit es sich in Form von Touristen-Dollars
(beziehungsweise -Yen oder -Euro) auszahlt, sondern bescheiden und diskret wie die al-
lermeisten Schweizer auch.
Im Heidi-Shop wird ihr Name noch unverfrorener eingesetzt, um Touristen zu verkau-
fen, was ihr Herz begehrt (auch wenn sie davon vorher nichts geahnt haben). Kein leich-
tes Unterfangen, sich an die Unschuld des Mädchens zu erinnern, wenn man sie auf den
Etiketten von Weinflaschen und Kaffeebohnen sieht. Dieser profitorientierte Einsatz ihres
Namens ist umso unangenehmer, weil er ihrem im Buch geschilderten Naturell völlig zu-
widerläuft. Immerhin wird sie sogar krank, als sie in der großen bösen Kapitalistenmetro-
pole fremdartige Speisen wie Fisch und Gemüse essen muss und nicht einfach loslaufen
und spielen darf. Ein Kanten Brot, eine Weide voller Ziegen und Bergblick genügen, um
aus ihr das glücklichste Mädchen der Welt zu machen. Wenn man allerdings bedenkt,
wie gern die Schweizer Geld scheffeln, hat Heidi vielleicht doch nicht ihre Seele verkauft,
sondern ist nur zu einer geschäftstüchtigen Schweizerin herangewachsen. Obwohl sie zu-
mindest hier in Maienfeld ihren Reichtum allzu protzig zur Schau stellt, was eine echte
Schweizerin nie tun würde.
Meine Heidi-Suche ist zu Ende. Heidiland zieht an den Zugfenstern vorbei, die scharf-
kantigen Berge weichen dem sanften Grün bewaldeter Hügel. Das kleine Mädchen, das
die Schweiz in der Welt repräsentiert, lebt und ist wohlauf, man trifft sie in ihrem Land
überall an. Dank 50 Millionen Exemplaren nach der Erstausgabe wird sie von Kindern
geliebt wie eh und je, insbesondere in den USA und Japan. Nicht schlecht für eine Ro-
manfigur, die über 130 Jahre auf dem Buckel hat. Heidi war der Harry Potter ihrer Zeit,
nicht zuletzt weil auch sie bis heute erbarmungslos vermarktet wird.
Die Parallelen zwischen den beiden Autorinnen sind erstaunlich. Johanna Spyri war
seinerzeit die berühmteste lebende Kinderbuchautorin, nicht anders als J. K. Rowling
heute. Beide sind durchs Schreiben reich und berühmt geworden, wenn auch in sehr un-
terschiedlichem Maß, und haben danach Kinderwohltätigkeitsprojekte gefördert. Sie ha-
ben sogar denselben Vornamen, der anfangs bei beiden verschwiegen wurde. Allerdings
ist Johanna nie wirklich glücklich geworden, was Joanne K. offenbar gelungen ist; sie
konnte sich im Grunde nie mit der Welt um sich herum anfreunden. Es ist wohl kein Zu-
Search WWH ::




Custom Search