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Eine Geschichte aus fünf Städten
Jahrhundertelang waren die Kantone durch Verträge aneinander gebunden, entwickelten
sich aber, ähnlich wie die italienischen Stadtstaaten, unabhängig voneinander. Deshalb
hatte die Schweiz nie die eine große Hauptstadt à la Paris oder London: Hier gab es stets
eine ganze Gruppe von mehr oder weniger gleichrangigen Städten. Auch heute noch spielt
jede dieser fünf großen Städte ihre besondere Rolle. Die Bundeshauptstadt Bern ist das po-
litische Zentrum; Basel dank den pharmazeutischen Konzernen das industrielle; Lausanne
als Sitz des Schweizerischen Bundesgerichts das juristische; Genf mit dem europäischen
Hauptsitz der Vereinten Nationen das internationale und Zürich, die größte der fünf, ist
das Wirtschaftszentrum. Das ist, als würde man London in fünf Teile zerlegen und über
Großbritannien verstreuen. Dabei wäre allerdings jeder Teil größer als Zürich mit seinen
375 000 Einwohnern. Wer einen Spaziergang durch die kopfsteingepflasterten Fußgänger-
zonen der Zürcher Innenstadt macht, fühlt sich überhaupt nicht wie ein Großstadtbesu-
cher. Jedenfalls nicht, wenn er aus London oder New York kommt. Für die Schweizer ist
Zürich aber eine wahre Metropolis. Jedenfalls wird die Stadt von ihren Bewohnern so ver-
kauft, denn sie tragen die Nase gern ein bisschen höher als die anderen Eidgenossen.
Wie zwischen den Kantonen kann man auch die Rivalität zwischen den großen Städten
praktisch mit Händen greifen, und das nicht nur im Fußballstadion. Zürich, das wirt-
schaftliche Nervenzentrum, fühlt sich allen anderen überlegen, die ihrerseits die Zürcher
für dreiste, arrogante Zeitgenossen mit übergroßer Klappe halten. Die Berner hingegen mit
ihrem melodischen Dialekt werden gern als langsam, still und ziemlich altmodisch abge-
tan, wenn man sie nicht gleich für Bauerntölpel hält. Basel ist zwar berühmt für seine Fas-
nacht, bleibt aber den übrigen Schweizern im Grunde ein Rätsel, als würde ihre grenznahe
Lage die Stadt irgendwie suspekt machen. Und niemand mag den FC Basel; sogar die Ber-
ner halten eher zum FC Zürich als zum Basler Team. Alle drei Städte sind deutschspra-
chig, sind sich also einig, dass man Genf und Lausanne, die beiden französischsprachigen,
vergessen kann. Vielleicht weil keine von beiden so richtig schweizerisch wirkt. Genf ist
zu international beziehungsweise fast schon zu französisch, während Lausanne für
Schweizer Verhältnisse eine richtige Alternativkultur hat. Die mag im Vergleich zu ande-
ren Ländern unauffällig daherkommen, aber für die ernsten (Deutsch sprechenden)
Schweizer ist sie schon ziemlich gewagt.
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