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Von einem kleinen Mädchen,
das zur Ikone der Nation wurde
Wenn man auf der A 12 von Bern Richtung Südwesten unterwegs ist, heißt es zuerst noch
Ausfahrt nach Düdingen oder St. Wolfgang und dann auf der Höhe von Granges-Paccot
und Givisiez plötzlich Sortie . Dasselbe erlebt man im Zug, wo die freundliche Ansagerin
von Nächster Halt ohne Vorwarnung zu Prochain arrêt wechselt. Die Landschaft, die
draußen vorbeizieht, sieht immer noch aus wie eine knubblige Daunendecke, und rot-wei-
ße Schweizer Fahnen flattern weiterhin in den Gärten, doch wenn man die Schilder und
Werbeplakate liest, fühlt man sich woandershin versetzt. Sie belegen, dass man einen
sprachlichen Grand Canyon überquert hat, den man hier Röstigraben nennt (siehe
Romandie-Karte) - was auf die Tatsache anspielt, dass die Deutschschweizer im Gegensatz
zu ihren französischsprachigen Landsleuten Rösti lieben. Zwar ist der Graben unsichtbar,
aber man weiß sofort, wann man ihn überschritten hat. Und er zählt zu den wichtigeren
der vielen Dinge, die die Schweiz zu dem machen, was sie ist.
Für viele Länder vor allem in Europa ist die Sprache unverzichtbarer Bestandteil ihrer
nationalen Identität. Italien ist Italien und Polen ist Polen, weil alle Leute dort dieselbe
Sprache sprechen (zumindest war das einmal so). Zwar spielt die Sprache auch eine wich-
tige Rolle bei der Definition der Schweizer Identität, aber doch auf ganz andere Weise.
Denn hier gibt es nicht nur eine, sondern gleich vier Nationalsprachen, und gerade diese
Mehrsprachigkeit macht die Schweiz zu etwas Besonderem. Ohne das Tessin und die Ro-
mandie wäre die Schweiz nur ein kleines deutschsprachiges Land, ein zweites Österreich,
und nichts würde den Schweizern mehr gegen den Strich gehen. Aber umgekehrt gilt
auch, dass das Tessin und die Romandie, wenn sie nicht zur Schweiz gehören würden, nur
entlegene vernachlässigte Provinzen großer, zentralistischer Staaten wären. Und man ist
doch lieber ein kleiner Fisch in einem kleinen Teich als eine Alge in einem großen See.
Diese ungewöhnliche Situation kommt jedem gelegen. Mögen sich auch die Deutsch-
schweizer über das mangelnde Arbeitsethos in den anderen Gebieten beschweren und la-
mentieren, wie unorganisiert, wenig zielgerichtet und einfach unschweizerisch es dort zu-
geht, insgeheim beneiden sie die französischen und italienischen Kantone um ihren Hu-
mor und ihre Lebensfreude und das Glas Wein zum Mittagessen. Die Frankoschweizer
wiederum sind eher proeuropäisch und weniger nationalistisch, wie Referendenabstim-
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