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Salat ist nicht gleich Salat
In vielen Schweizer Restaurants wird ein Menü angeboten, oft als Mittagsmenü, das aus
drei Gängen besteht und täglich wechselt. Und in neun von zehn Fällen ist der erste Gang
ein Salat. In einer schlichten Wirtschaft - ja, auch davon gibt es ein paar in der Schweiz -
kommt vermutlich eine kleine Schüssel mit zerschreddertem Blattsalat, einem Tomaten-
viertel, ein paar geraspelten Karotten und Fertigdressing auf den Tisch. In besseren Loka-
len handelt es sich um gemischten Blattsalat, geröstete Kerne und selbst gemachte
Salatsauce, aber der Grundgedanke ist derselbe: einfache Zusammenstellung, schnell auf
dem Tisch.
Auch zu Hause mögen die Schweizer als Vorspeise nichts lieber als einen kleinen Salat.
Das ist schon mehr als ein nationaler Essensfetisch, es ist ein kulturelles Merkmal. Und so
ist der Salat in der Schweiz nicht nur der vorhersehbare erste Gang, sondern Quelle endlo-
ser Faszination am Essenstisch. Dabei geht es letztlich nur um besseres Hasenfutter. Wer
hätte gedacht, dass ein bescheidenes Salatblatt solche Dispute entfesseln könnte! Mehr als
einmal habe ich während einer dieser Grünzeugdebatten zum Messer gegriffen und sie
brachial beendet - indem ich die Blätter zerschnitt.
Von den preiswerten Menüsalaten abgesehen, werden Schweizer Salate mit ganzen
Blättern serviert. Sie werden nicht vorher auseinandergerissen oder -geschnitten, meist
nicht einmal halbiert. Große, fast runde Blätter liegen mit Dressing begossen da, ästhetisch
natürlich weit ansprechender als zerschnipselter grüner Mischmasch. Doch kaum beginnt
man zu essen, ist die Ästhetik sofort perdu, auch wenn man sich beim Kampf mit den wi-
derspenstigen glitschigen Blättern um einigermaßen schickliches Benehmen bemüht. Nach
eingehender Beobachtung stelle ich fest, dass es beim Verzehr eines Schweizer Salats eine
unumstößliche Blätteretikette gibt, sagen wir ruhig eine Blättikette. Man hat drei verschie-
dene Möglichkeiten - die elegante, die übliche und die praktikable Variante. Nach Schwei-
zer Maßstäben in dieser Reihenfolge.
Korrekt ausgeführt, ist der elegante Verzehr ein wahrer Augenschmaus. Zunächst spießt
man ein einzelnes Blatt mit seiner Gabel auf. Dann faltet man mithilfe des Messers jede
Seite des Blatts zur Mitte hin, wobei man jedes Mal erneut mit der Gabel durch die Mitte
sticht, damit sich das Ganze nicht unversehens wie ein Schachtelteufel wieder entfaltet.
Sobald alle vier Seiten eingeklappt sind, hat man ein kleines, handliches Päckchen, das
man formvollendet verspeisen kann.
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