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nächsten Minuten nicht mehr zu Wort kommen. Der Föhn ist ein Wind, der von Süden
über die Alpen kommt und normalerweise im April und Mai und auch im Herbst weht.
Er bringt warme trockene Luft, daher der Name. Es ist wohl kein Zufall, dass er nach
dem Haartrockner benannt ist - oder war es umgekehrt? Haare trocknen jedenfalls
schnell bei Windgeschwindigkeiten um die 100 Kilometer pro Stunde und einer jähen
Wärme, die zu dramatischen Temperaturunterschieden führt. So kann es sein, dass bei
Föhn 25 Grad herrschen, während man ein paar Täler weiter bei sechs Grad friert.
Vielleicht ist es diese atmosphärische Störung, die dem Föhn seinen schlechten Ruf
eingetragen hat. Angeblich gehen Kopfschmerzattacken, Selbstmorde und eine generelle
Verstörung der Bevölkerung auf sein Konto. Wahrscheinlich ist es aber einfach nur eine
Übertragungsneurose, denn die Schweizer hassen Zugluft in jeder Form und Gestalt. Was
für Sie und mich nur eine leise Brise ist, kann für einen Schweizer Ursache sämtlicher,
die Menschheit befallenden Krankheiten sein. Häuser sind meist hermetisch versiegelt,
damit keine Zugluft eindringt; Fenster- und Türschlangen oder schwere Vorhänge sind in
einem Schweizer Heim nicht nötig. Dessen ungeachtet werden täglich für ein paar Minu-
ten die Fenster aufgestoßen, um die verbrauchte Luft hinauszulassen; hierbei spielt Zug-
luft offenkundig keine Rolle, denn das ist gesund. Aber wenn Sie im Zugabteil ein Fenster
öffnen wollen, und es ist nicht gerade der heißeste Tag des Jahrhunderts, vergessen Sie's.
Es ist Ende Juli, blauer Himmel, das Thermometer arbeitet sich auf 30 Grad hinauf,
und die Sonne knallt durch die Fenster. Der Waggon erinnert an eine mobile Sauna, Sie
sind schweißgebadet und Ihre Mitreisenden rot wie Tomaten; es gibt keine Wahl: Sie öff-
nen das Fenster. Sie haben gerade mal drei Atemzüge frische Gebirgsluft abbekommen,
da nähert sich schon eine Schweizerin und fordert Sie unmissverständlich auf, es wieder
zu schließen. Sie zieht sich sogar effekthascherisch den Schal enger um den Hals, wenn
auch für Ihren Geschmack nicht eng genug. Anscheinend stört sie die Zugluft, obwohl sie
vier Reihen vor Ihnen sitzt; es muss sich um einen kräftigen Zug handeln, der es schafft,
gegen die Fahrtrichtung das gesamte Großraumabteil zu durchstreifen. Alle anderen
Fahrgäste beobachten Sie mit angehaltenem Atem, wahrscheinlich wegen Luftmangels.
Also bieten Sie einen Kompromiss an und schieben das Fenster halb zu, was Ihnen für
den Rest der Fahrt böse Blicke der zuggeplagten Dame einträgt.
Natürlich bringen Schweizer Zeitungen und das Fernsehen Wettervorhersagen, in der
Regel in Form einer vereinfachten Karte. Und schon das ist erhellend. Ein Blick auf die
Schweizer Wetterkarte, und es wird klar, wie die Schweizer ihr Land sehen. Zumindest in
geografischer Hinsicht.
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