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Unten in der Käserei
Die Audiotour wird von Cherry bestritten, einer durchaus liebenswerten Führerin, die uns
an ihrem Leben teilhaben lässt. Es besteht hauptsächlich darin, Unmengen von Gras zu
fressen, zweimal täglich das Euter massiert und geleert zu kriegen, im Frühling zu höher
gelegenen Weiden hinauf- und im Herbst wieder herabzusteigen. Nicht gerade ein ständi-
ger Nervenkitzel, aber es klingt nach einem angenehmen Dasein. Unsere sprechende Kuh
teilt uns allerhand Wissenswertes mit, etwa dass zwei Drittel des gesamten Gruyère in der
Schweiz gegessen werden oder dass Wissenschaftler 75 verschiedene Duftnoten in dem
Käse ausgemacht haben. Es folgt die altbekannte Geschichte der täglichen Käseherstel-
lung: Die Morgen- und die Abendmilch werden zusammengegossen, in riesigen Bottichen
erhitzt (der in der Ausstellung fasst 4800 Liter), dann folgen Salzbäder, Pressen und Lagern.
Wie der Emmentaler ist der Gruyère AOC -geschützt, weil er nur in diesem Teil der
Schweiz hergestellt wird. Und wie beim Emmentaler braucht man zwölf Liter Milch, um
ein Kilo Käse zu machen. Ja, anscheinend unterscheiden sich der Gruyère und der Em-
mentaler kaum, abgesehen davon, dass ersterer blind ist, weil er keine Augen hat. Und
dass ein Gruyère-Käserad im Durchschnitt nur 60 Zentimeter misst und lachhafte 35 Kilo-
gramm wiegt.
Unten starrt man dann durch ein Fenster auf 7000 Käselaibe, die alle langsam reifen. Sie
liegen in Regalen, die vom Boden bis an die Decke reichen. Man fühlt sich wie in einem
Science-Fiction-Film, wo die Helden in ein Lagerhaus kommen, das Licht anknipsen und
sich endlosen Reihen von Klonen gegenübersehen. Ein bisschen unheimlich, obwohl es
sich nur um Käse handelt. Da rollt ein robotergesteuerter Wagen zu einem Regal, fährt
Greifarme aus und dreht jeden einzelnen Käse um, der in diesem Regal liegt; spätestens
jetzt fühle ich mich in eine andere Welt versetzt.
Vom Standard-Gruyère gibt es drei Sorten: mild, mittelalt und würzig. Keiner davon ist
wirklich nach meinem Geschmack, aber im Shop probiere ich einen Reserve, ein Titel, wie
er einem guten Wein gebührt, das AOC -Siegel hat wohl nicht gereicht. Mindestens ein
Jahr gereift ist der Reserve-Gruyère nicht gummiartig, sondern irgendwie körniger und
bröckeliger und schmeckt viel intensiver. Einfach köstlich. Bis dahin war mir der Reiz von
Schweizer Käse verborgen geblieben, aber der Reserve war eine Offenbarung. Und es soll-
ten noch mehrere folgen.
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