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auch nur die Trauben zu sauer, denn schließlich brachten es beide Männer erst zu wah-
rem Ruhm, nachdem sie ihre Heimatstadt verlassen hatten. Stattdessen konzentriert man
sich hier auf die Uhren, deren Ego niemals das ihrer Macher überstrahlt.
Man ehrt die Uhren hier mit einem eigenen Museum in dem wahrscheinlich hässlichs-
ten Gebäude der Stadt, wobei es dafür reichlich Anwärter gibt. Glücklicherweise befindet
sich der größte Teil des Betonmonsters unter Tage. Als man es noch nicht besser wusste
(nämlich 1977), wurde das Musée International d'Horlogerie mit dem Architekturpreis
Beton für beispielhaften Museumsbau ausgezeichnet. Offensichtlich kommt es bei dieser
Auszeichnung darauf an, dass ein Bauwerk möglichst grau und abweisend aussieht. Der
einzige Vorzug ist, dass die düsteren Wände die Ausstellungsstücke noch leuchtender
hervortreten lassen: reich verzierte Taschenuhren, eine elegante Sonnen-Pendeluhr, erste
Armbanduhren für die Soldaten des Ersten Weltkriegs und rätselhafte Uhren, bei denen
scheinbar der Mechanismus fehlt. Das Bemerkenswerteste aber ist die Stille, die nur leises
Tick-tack und gelegentlich ein Piepen oder Läuten durchbricht. Sie verleiht dem Museum
ein pietätvolles Flair - halb Tempel, halb Bibliothek.
Obwohl ich kein Uhrenfanatiker bin, faszinieren mich die hier ausgestellte Detailbeses-
senheit und Handwerkskunst. Und mich ziehen die Erfindungen in den Bann, denen wir
die heute als selbstverständlich erachteten zierlichen und flachen Uhren verdanken: die
erste Feder, die erste Automatik, die erste Batterie, das erste Uhrenquarz und so weiter.
Mein persönlicher Favorit unter all den Vitrinen der Schweizer Uhrenhersteller ist die
von Girard-Perregaux, einer hiesigen Manufaktur. Nicht wegen der Uhren, die sich von
den anderen nur unwesentlich unterscheiden, sondern wegen des Firmenmottos: »Wat-
ches for the few since 1791«. Kein langes Herumgerede, dass diese lächerlich kostspieli-
gen und elitären Uhren von jeher nur für wenige Auserwählte infrage kamen. Da bleibe
ich doch bei meiner zuverlässigen Swatch, von der ich erfahre, dass sie in zehn Schritten
gefertigt wird, ähnlich wie ein Modellflugzeug. Das Geheimnis ihres Erfolges war die
Halbierung der Komponenten auf 51, was die Produktionskosten und damit auch den La-
denpreis senkte. Ihre Markteinführung 1983 half, eine Schweizer Uhrenindustrie zu ret-
ten, die angesichts einer asiatischen Quarzrevolution ins Straucheln geraten war. Ohne
die Swatch wären die heutigen Schweizer Uhren vielleicht allesamt Girard-Perregaux-
Modelle: Luxusspielzeuge für die Superreichen.
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