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Der Krieg, den es nie gab
Dennoch ist es sehr viel weniger peinlich, übers Geld zu reden als über den Krieg. Dieses
Thema meiden Schweizer wie die Pest. Zugegeben, sie waren nicht direkt beteiligt, aber
man gewinnt dort fast den Eindruck, er habe sich gar nicht ereignet. Er ist der berühmte
Elefant im Wohnzimmer, den jeder übersieht, sobald man über Deutschland oder die jün-
gere Schweizer Geschichte spricht. Zum Krieg gibt es weder Witze noch gemeinsame kul-
turelle Gepflogenheiten: Knöllchenverteiler werden nicht als »Blockwarte« bezeichnet,
TV -Komödien veralbern nicht wie in England die französische Résistance, und Wahlpla-
kate werden nicht mit Hitlerbärtchen versehen. NS -Symbole und Mein Kampf sind verbo-
ten, es gelten also dieselben Regeln wie in Deutschland, obwohl die Schweizer nicht zum
Dritten Reich gehörten. Da fragt man sich doch, warum? Es ist, als würden sie sich für die
Vergangenheit schämen, sich wegen etwas schuldig fühlen, was sie getan oder unterlassen
haben. Besser schneidet man das Thema nicht an, als so viel Unbehagen auszulösen. Ty-
pisch Schweiz eben.
Das liegt teilweise an der Hassliebe zu den Nachbarn im Norden, bei der nicht selten
der Hass überwiegt. Deutschland wird oft halb im Scherz als der »große Kanton« bezeich-
net, und der jüngste Zustrom von Tausenden Deutschen - ihre Zahl hat sich zwischen
2002 und 2010 mehr als verdoppelt und liegt inzwischen bei über 250 000 - hat die Span-
nungen eher verstärkt als gemildert.
Anscheinend sind die Deutschen die Einzigen, die bei den Schweizern Minderwertig-
keitsgefühle auslösen, und das ist an sich schon eine Leistung. Ein Grund dafür ist die
Sprache. Das Hochdeutsch der Neuankömmlinge klingt direkter und weniger charmant als
die schwyzerdütschen Dialekte, deshalb wirken die Deutschen, jedenfalls für das Schwei-
zer Feingefühl, arrogant und grob. Deutschsprechende ernten manchmal abfällige Bemer-
kungen und Schlimmeres, und selbst Engländer, die in der Schule Hochdeutsch gelernt ha-
ben, bleiben davon nicht verschont. Aber Hochdeutsch ist immerhin die Amtssprache, und
so sind die meisten Schweizer (wenn auch manchmal widerwillig) bereit, sich darauf ein-
zulassen.
Der Einwandererstrom aus Deutschland ist mehreren bilateralen Abkommen zwischen
der Schweiz und der EU zu verdanken. Nach wiederholten Niederlagen bei Volksabstim-
mungen musste die Regierung ihren Beitrittswunsch aufgeben; stattdessen gelangte sie
durch ausdauernde Verhandlungen in die einzigartige Position einer Beinahemitglied-
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