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Geld spricht, aber sehr leise
Egal was Sie tun, reden Sie nicht über Geld. Wie wir noch sehen werden, ist in der
Schweiz auch der Krieg kein empfehlenswertes Gesprächsthema. Aber Geld fordert wie
Lohengrin: Nie sollst du mich befragen. Die Schweizer haben Geld, nicht wenige haben ei-
ne ganze Menge davon, aber sie sprechen nicht darüber. Höfliche Konversation themati-
siert nie den Wohlstand, das heißt, man erörtert nicht den Kaufpreis von Häusern und ver-
gleicht weder die Beute bei der Schnäppchenjagd noch die Lebenshaltungskosten. Geld
soll man, wie einst Kinder, nur sehen und nicht hören. Und sehr oft hält es sich so im Hin-
tergrund, dass man es nicht einmal sieht. Wenn Sie gut betucht sind, lassen Sie es sich lie-
ber nicht anmerken. Protzen ist in der Schweiz keine Tugend. Dreiste Zurschaustellung
von Reichtum sieht man in Zürich zwar häufiger als anderswo im Land, doch dort weiß
man nie, ob die mit Klunkern behängte Dame im Pelzmantel eine russische Touristin oder
eine prollige Einheimische ist. Und so etwas Ordinäres wie ein Wettbüro wird man in den
Hauptstraßen der Eidgenossenschaft nirgends antreffen - einerseits weil die Schweizer es
nicht nötig haben, ihren Reichtum durch Toto zu erwerben, andererseits weil sie, wenn sie
es täten, nicht möchten, dass ihre Nachbarn es erfahren. Dem Glücksspiel frönt man daher
am besten in den eigenen vier Wänden oder in einem Spielkasino - davon gibt es zwanzig
legal betriebene, die über das ganze Land verstreut sind.
Es gehört sich einfach nicht, über Geld zu reden. Deshalb stehen in Stellenanzeigen
auch keine Angaben zum Gehalt, denn das würde bedeuten, dass jeder weiß, wie viel Sie
verdienen. Und so etwas kommt nicht infrage. Als Arbeitsuchender müssen Sie also wis-
sen, wie viel in der Branche bezahlt wird und wie hoch Sie Ihren Wert einschätzen. Am
Ende des Vorstellungsgesprächs kommt nämlich der Augenblick der Wahrheit, in dem
über Ihr Monatsgehalt gesprochen wird, und das ist für alle, die das Schweizer System
nicht kennen, ein surreales Erlebnis. Sie müssen dann nämlich ein Angebot machen, das
von einem Gegenangebot gekontert wird, wobei beide Seiten wissen, dass die meisten Fir-
men ein 13. Monatsgehalt zahlen, mit dem Sie Ihre Steuern begleichen können (siehe un-
ten). Zuletzt einigen Sie sich auf ein Salär, mit dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer leben
können. Man feilscht also wie auf dem Basar, was bei Menschen, die nicht gern über Geld
sprechen, seltsam anmutet, doch in Wirklichkeit ist es typisch schweizerisch. Auch wenn's
ums Geld geht, greift dasselbe System wie immer: Dank Kommunikation und Kompromiss
erreicht man einen Konsens, mit dem alle zufrieden sind.
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