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Im Herzen Europas
Anders als bei amerikanischen Bundesstaaten sind die Grenzen europäischer Länder meist
nicht auf der Karte mit dem Lineal gezogen - ohne sich um Komplikationen wie Flüsse
und Berge zu scheren. Doch selbst nach europäischen Maßstäben hat die Schweiz einen
merkwürdigen Umriss. Ihre Grenzen schlängeln sich hemmungslos durch die Gegend, fol-
gen Flüssen, überspringen sie dann, um am anderen Ufer eine Beule zu bilden, und laufen
im Zickzack über Seen, sodass eine schlichte Bootsfahrt mehrfache Grenzüberschreitungen
mit sich bringt. Im Grunde sieht das Land wie ein missratenes Puzzleteilchen aus, das sich
nicht so recht mit seinen Nachbarn verzahnen lassen will. Dann wieder wird es zum lang
vermissten Element, dem letzten, das noch gefehlt hat, um das Puzzle zu vollenden. Ein
Blick auf die moderne Landkarte Europas, und man erkennt das schweizförmige Loch mit-
ten in der Europäischen Union.
Doch aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, verwandelt sich die Schweiz von ei-
nem Loch im Herzen Europas in eine Insel mitten in einem gewaltigen dunkelblauen Meer.
Sie ist auf allen Seiten von der EU umzingelt, Österreich, Frankreich, Deutschland und Ita-
lien hissen allesamt die goldbesternte Fahne. (Einzig das kleine Liechtenstein hat den Bei-
tritt bisher ebenfalls vermieden.) Das gebirgige Land begnügt sich mit wenig Fläche (mit
41 285 Quadratkilometern ist es nur etwa doppelt so groß wie Hessen und halb so groß
wie Österreich), aber es wäre Europas viertgrößte Insel - und auf jeden Fall die unge-
wöhnlichste, nicht zuletzt weil sie keine Küste besitzt. Willkommen auf der Binneninsel!
Lange Jahrhunderte ihrer Geschichte war die Schweiz eine Anomalie mitten in Europa,
eine Alpenrepublik, eingekreist von Monarchien und Kaiserreichen, Diktatoren und Ge-
nerälen. Gelegentlich spülten die Gezeiten der Geschichte Treibgut über die Schweizer
Grenzen, brachten europäische Konflikte und Ideen in die entlegensten Bergtäler, aber die
Schweiz hat es stets geschafft, sich ihren Inselstatus zu bewahren, dessen sie sich noch
heute erfreut. Die Schweizer wissen seit Langem, dass ihr Land oft so isoliert dasteht wie
das entlegenste Eiland mitten im Ozean, und haben ihren Standort zu ihrem Vorteil ge-
nutzt. Historisch wurde dies über die Kontrolle der Handelswege erreicht oder über Versu-
che, aus der zwischen Großmächten eingeklemmten Lage das Beste zu machen, und das
tun die Schweizer heute noch. Was man sehr gut am Beispiel des Duty-free-Handels sieht.
Normalerweise ist der Duty-free-Shop nicht gerade ein Spiegel für das Selbstbild einer
Nation. Zwischen Regalen mit Toblerone-Pyramiden, Smirnoff, Chanel und Marlboro ent-
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