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Ein politisches Soulé
Zum ersten Mal seit 1987 hat die SVP Stimmen und Sitze verloren, vermutlich weil die
Zuwanderung ihr einziges Wahlkampfthema war. Präsentiert wurde ein drittes provokati-
ves Plakat in Rot, Weiß & Schwarz, das unter dem Motto »Genug ist genug« ein Ende der
Masseneinwanderung forderte. Am Ende hatten die Schweizer tatsächlich genug - von
fremdenfeindlicher Paranoia und polarisierendem Wahlkampf, noch dazu in einer Zeit
wirtschaftlicher Unsicherheit. Gerade einmal 26 Prozent der Schweizer stimmten für die
SVP (ein Rückgang um 2,3 Prozent), sodass die Partei im Nationalrat acht Sitze verlor, was
verhinderte, dass ihre Platzhirsche (darunter Herr Blocher) den Ständerat stürmten. Die
SVP hatte verkündet, »Schweizer wählen SVP «, aber 2011 entschieden sich drei von vier
Schweizern anders.
Doch die Volkspartei war nicht die einzige, die ins Straucheln kam. Alle großen Parteien
büßten Stimmen ein, wobei die FDP , maßgeblich an der Gründung der modernen Schweiz
beteiligt, die höchsten Verluste verzeichneten. Ihr langsamer Niedergang ist offenbar nicht
aufzuhalten, und 2011 war nur ein weiterer Meilenstein auf dem Weg bergab. Ein Minus
von 2,6 Prozent der Stimmen, zum ersten Mal seit 1919 stellen sie in Graubünden keinen
Nationalrat, und der Parteipräsident hätte bei den Wahlen im Tessin beinah eine Niederla-
ge eingesteckt: Fulvio Pelli kratzte eine knappe Mehrheit von nur 58 Stimmen zusammen.
Sogar die Sozialdemokraten verloren Stimmen (gewannen aber Sitze hinzu), und das alles
nur wegen zwei neuen Parteien in der Mitte. Während rechts und links Verluste zu ver-
zeichnen waren, schaffte die »Neue Mitte« - mit einem Soufflé vergleichbar und sicher-
lich mit ebenso viel heißer Luft gefüllt - einen spektakulären Aufstieg. Die neuen Stars
waren die Bürgerlich-Demokratische Partei ( BDP ), die sich nach Blochers Abwahl 2007
von der SVP abspaltete, und die Mittelinksformierung der Grünliberalen Partei ( GLP ).
Beide übersprangen die magische Fünf-Prozent-Hürde und erhielten gemeinsam 21 Sitze
im Nationalrat. Das politische Gleichgewicht in der Schweiz verschob sich überdeutlich
zur Mitte, was nach acht Jahren der Konfrontationen eine Rückkehr zur Konsenspolitik si-
gnalisieren mag. Wieder mal typisch Schweiz.
Nach den brisanten Wahlen der Jahre 2003 und 2007 war es vielleicht nur natürlich,
dass es 2011 ruhiger und gemäßigter ablief. Aber es kann auch, selbst in der Schweiz, zu
ruhig werden. Wenn der Höhepunkt der Wahlkampfberichterstattung im Kidnapping ei-
nes Ziegenbocks besteht, überrascht es nicht, dass die Beteiligung unter 50 Prozent liegt.
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