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Nein, man hat nicht einfach das S des SCH für Schweiz weggelassen, obwohl das er-
staunlich viele Deutsche denken, es handelt sich vielmehr um die Abkürzung für Confoe-
deratio Helvetica, den neunten und offiziellen Namen der Schweiz. Vermutlich
schmücken sich nicht viele moderne Länder mit einer lateinischen Bezeichnung, aber die
Schweiz macht ja gern mal eine Ausnahme. Der Name leitet sich von Helvetii, also den
Helvetiern ab, einem der hier einst ansässigen keltischen Stämme; die wörtliche Überset-
zung wäre Helvetische Konföderation. Aber für ein Land, das sich etwas auf seine Akku-
ratesse einbildet - und zwar nicht nur bei Zugfahrplänen -, entbehrt es nicht einer ge-
wissen Ironie, dass sein offizieller Name nicht ganz korrekt ist.
Bis zu einem bemerkenswert zivilisiert geführten Bürgerkrieg im Jahr 1847 war die
Schweiz tatsächlich eine Konföderation, das heißt ein loses Bündnis selbstständiger Staa-
ten, die mal mehr, mal weniger zusammenarbeiteten. Man konnte sie, im modernen
Wortsinn, kaum als Land bezeichnen, aber sie war eindeutig mehr als die Summe ihrer
Teile. Der neue, 1848 geschaffene Staat war eine Föderation, also ein Bundesstaat im bes-
ten Sinn des Wortes, wurde aber nicht so genannt. Trotz ihrer nagelneuen Bundesregie-
rung beschlossen die Schweizer, den alten Namen zu behalten. Mochte er auch nicht ak-
kurat sein, sie fühlten sich damit einfach besser als mit der neumodischen Struktur, die so
zentralisiert und deshalb so ganz unschweizerisch wirkte. Und noch typischer für die
Eidgenossen: Der alte Name schlug einen Bogen zu ihrer Vergangenheit, die für jede
Schweizerin und jeden Schweizer von grundlegender Bedeutung ist.
Wenn Sie einen Schweizer nach seinem Heimatort fragen, erklärt er nicht unbedingt,
wo er geboren wurde, sondern woher seine Vorfahren stammen, wahrscheinlich aus ei-
nem kleinen Dorf an einem Berghang. Auch wenn dort schon seit Generationen kein An-
gehöriger von ihm mehr lebt, steht trotzdem dieses Dorf und nicht der Geburtsort in ei-
nem Schweizer Pass. Woher man kommt, ist in der Schweiz ebenso wichtig, wie wohin
man geht, und das gilt für das Land ebenso wie für seine Bewohner.
Ein offizieller Name, der den eigentlichen Charakter des Landes nicht wiedergibt, mag
paradox erscheinen. Die Schweizer finden das aber ganz normal, weil die Schweiz selbst
ein Paradoxon ist. Im Grunde ist sie ein Land, das es gar nicht geben dürfte. Es trotzt so-
wohl Mutter Natur als auch der menschlichen - mit Grenzen, die weder geografisch
noch linguistisch und auch nicht religiös oder politisch bedingt sind.
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