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Statistiken sagen jedoch nicht immer die ganze Wahrheit. »Einer der höchsten Auslän-
deranteile in Europa« ist ein oft gehörter Aufschrei der Empörung, der auf der offiziellen
Zahl von 22,4 Prozent beruht. Aber ist sie auch richtig? Für Schweizer Verhältnisse
schon, allerdings nur weil sich die Einbürgerungsregeln der Eidgenossenschaft grundle-
gend von denen anderer Länder unterscheiden. Vergleicht man Gleiches mit Gleichem,
sodass dieselben Voraussetzungen gelten, ergibt sich ein völlig anderes Bild - dann hat
die Schweiz nämlich einen Ausländeranteil von nur sechs Prozent. Also ungefähr so viel
wie Großbritannien und viel weniger als die deutschen 8,2 Prozent. Zwei Regeln geben
den Ausschlag. Nicht nach zwölf Jahren wie in der Schweiz, sondern schon nach fünf
Jahren Aufenthalt können sich Einwanderer in den meisten EU -Ländern um die Staats-
bürgerschaft bewerben. Damit erklärt sich, warum es derzeit so viele »Ausländer« in der
Schweiz gibt: Nur 34 Prozent von ihnen leben seit weniger als fünf Jahren hier. Zweitens
werden die Secondos anderswo besser behandelt. In Deutschland geborene Kinder sind
Staatsbürger, wenn sich mindestens ein Elternteil seit mehr als acht Jahren ständig dort
aufhält, in Großbritannien gilt ein Minimum von fünf Jahren. Nicht so in der Schweiz,
wo die rund 350 000 Secondos keine Staatsbürgerrechte haben. Wohl kaum ein fairer Ver-
gleich.
Fast alle hier lebenden Ausländer stammen aus Europa. Ein Blick auf die Abstimmun-
gen beim Eurovision Song Contest zeigt, woher die meisten kommen: 2008 (das letzte
Jahr mit Telefonabstimmung und ohne Jurys) vergab die Schweiz douze points an Serbi-
en, zehn an Portugal und acht an Albanien. Eigentlich sind die beiden größten ausländi-
schen Bevölkerungsgruppen Italiener und Deutsche, aber da Italien von 1998 bis 2010
nicht am Eurovision Contest teilgenommen hat und niemand in der Schweiz für irgen-
detwas Deutsches stimmen würde, tauchen die beiden Länder nicht auf. Ausgerechnet
beim Eurovision Song Contest dürfen die Ausländer in der Schweiz mit abstimmen -
welche Ironie! Ist das wirklich ein Beispiel für gelebte Demokratie? Oder haben die
Schweizer gar recht damit, so viele Einwohner von politischen Entscheidungen fernzu-
halten? Wer weiß?
Sicher ist jedenfalls, dass die Schweizer Wirtschaft in beunruhigendem Maß von Aus-
ländern abhängig ist - fast ein Viertel der Lohnempfänger sind keine Schweizer Bürger.
Doch wer sonst sollte all die ungeliebten Arbeiten erledigen? Auch in Deutschland gehen
ja die Ausländer putzen, lesen Wein oder stechen Spargel, kehren die Straßen und ver-
kaufen Döner. Und so wäre die Schweiz ohne ihre Ausländer ein schmutziges Land mit
hungriger Bevölkerung. Eine Tatsache, der die meisten Schweizer blind gegenüberstehen,
bis man sie zwingt, die Augen zu öffnen.
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