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Einer von fünf?
Politik befasst sich normalerweise, vor allem in Wahlkampfzeiten, mit Steuern und Ausga-
ben. Schweizer Politik ist anders. Geld ist zwar wichtig, aber da jede Steuererhöhung oder
-senkung und jede Ausgabe der öffentlichen Hand womöglich ein Referendum auf den
Plan ruft, wird nicht so viel Aufhebens darum gemacht. Aus Wahlversprechen werden
normalerweise Kompromisse, und darum kommen die Parteien selten mit etwas wirklich
Neuem daher, das ja doch wieder nur auf dem Altar des Konsenses geschlachtet würde.
Nur in einer Frage unterscheidet sich die Schweiz kaum von den meisten anderen Demo-
kratien, und zwar beim Thema Einwanderung und Integration.
Die Schweiz ist vernarrt in Statistiken. Alles wird gezählt, tabellarisch aufgelistet, be-
wertet und veröffentlicht. Die Website jeder Stadt und jedes Kantons strotzt vor statisti-
schen Daten, darunter wirklich nützliche Informationen wie die genaue Zahl der Hausbe-
sitzer oder die Auskunft, welcher Prozentsatz der Bevölkerung albanisch spricht. Eine Zahl
des Bundesamtes für Statistik überrascht dann aber doch, nämlich dass 22,4 Prozent der in
der Schweiz lebenden Menschen keine echten Schweizer sind. Also 1,7 Millionen ein-
schließlich meiner Person - auch ich tauche in dieser Statistik auf! Beinahe unglaublich,
dass in einem Land einer von fünf Einwohnern kein Staatsbürger ist; in Großbritannien
wären das zwölf Millionen Menschen, in Deutschland über 16 Millionen (also die gesamte
Bevölkerung von Berlin und Bayern; real sind es 6,7 Millionen). Wirklich eine ganze Men-
ge.
Die Schweizer Nationalität wird als Privileg und nicht als Recht gesehen und ist daher
schwer zu erwerben. Wenn nicht mindestens ein Elternteil Schweizer Bürger ist, zählt es
nicht, ob man in der Schweiz geboren wurde - auch noch Einwanderer der zweiten, drit-
ten und vierten Generation (die hier Secondos genannt werden) gelten als Ausländer. Das
ist ungefähr ein Viertel der 1,7 Millionen. Etwa 350 000 Menschen sind also in der Schweiz
geboren und aufgewachsen, ohne Schweizer zu sein. Viele bemühen sich um eine Einbür-
gerung, wie sie den 13 Secondos der Schweizer Fußballmannschaft gewährt wurde, die
2009 die U -17-Fußball-Weltmeisterschaft gewonnen haben. Aber so eine Einbürgerung ist
ein langwieriger und teurer Prozess, man muss sie beantragen und bezahlen, und das auf
Gemeinde-, Kantons- und Bundesebene. Möglich ist ein solcher Antrag, nachdem man
zwölf Jahre in der Schweiz gelebt hat. Und dann kann es weitere zwei Jahre dauern und
kostet Tausende von Franken, bis man Schweizer ist.
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