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Teilzeitpolitiker
Wie so viele Parlamente in der Welt besteht auch die Bundesversammlung der Schweiz
aus zwei gleichgestellten Kammern, die beide alle vier Jahre direkt vom Volk gewählt wer-
den. Im Ständerat ist jeder Kanton mit zwei Sitzen vertreten, wobei die sechs Halbkantone
logischerweise jeweils nur einen innehaben. Dadurch sind die kleineren Kantone in der
Kammer mit ihren 46 Sitzen stark vertreten und können nicht ständig überstimmt werden.
Die 200 Abgeordneten des Nationalrats hingegen werden zwar ebenfalls von ihren Kanto-
nen entsandt, ihre Zahl hängt aber von der Einwohnerzahl ab: So hat Zürich als größter
Kanton 34 Sitze, sechs Kantone haben nur das vorgeschriebene Minimum von je einem
Sitz. Vorbild für die Bundesversammlung war der amerikanische Kongress, allerdings mit
zwei gravierenden Unterschieden. Zum einen gibt es in der Schweiz keine Direktwahl des
Präsidenten: Beide Kammern wählen gemeinsam den Bundesrat und ein Mitglied des Bun-
desrats zum Präsidenten. Zum anderen gibt es nicht nur zwei Parteien und ein paar Unab-
hängige - das Schweizer Parlament ist die reinste Buchstabensuppe.
Neben der schon erwähnten SVP haben wir hier die CVP , die FDP , die BDP , die EVP ,
die EDU , et cetera, et cetera. Und das sind nur die deutschen Namen: So heißt etwa die
SVP auf Französisch UDC (das Kürzel für Union Démocratique du Centre , ein lächerlicher
Name angesichts ihrer rechten Politik). Diese Parteienvielfalt ist eine Folge des Verhältnis-
wahlrechts, in der Schweiz Proporzwahl genannt, die nach dem Generalstreik 1918 einge-
führt wurde. Dieser Landesstreik war der einzige Augenblick in der jüngeren Geschichte,
in dem die Schweiz kurz vor dem Zusammenbruch stand mit einer handlungsunfähigen
Regierung, die das Heer auf das eigene Volk schießen ließ.
Doch da man ja in der Schweiz und nicht in Deutschland oder in Russland war, endete
schließlich alles wie üblich mit einem Allparteiengespräch und einem Konsens. In den fol-
genden neunzig Jahren gab es dann kaum noch Streiks, dafür viele Koalitionen und zahllo-
se Parteien. Jedenfalls zu viele für einen Zuwanderer aus Großbritannien, der an ein
Zweieinhalb-Parteiensystem gewöhnt ist. Vielleicht kann man das System nur begreifen,
wenn man das Parlament persönlich besichtigt. Es gibt dort kostenlose Führungen, wenn
nicht gerade die Bundesversammlung tagt - also fast immer.
Was Hauptstädte angeht, ist Bern eine der hübschesten. An drei Seiten von der Aare
umflossen, liegt es auf einem langen, schmalen Höhenkamm. Auf den ersten Blick sind die
einzigen Spuren von Modernität in der als Fußgängerzone ausgewiesenen Altstadt Laden-
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