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sagbar gemacht hat - zumindest bis 2003. Denn bis dahin wurde eine »Zauberformel«
zugrunde gelegt, die sicherstellte, dass der Bundesrat die vier wichtigsten Parteien sowie
die verschiedenen Landesteile repräsentierte. Und da die Bundesratsmitglieder normaler-
weise im Amt bleiben und immer wiedergewählt werden, bis sie in Pension gehen, zu-
rücktreten oder sterben, winkte die Bundesversammlung sie oft einfach nur durch. Doch
bei den allgemeinen Wahlen 2003 wurde die rechtsgerichtete SVP mit rund 29 Prozent
stärkste Kraft. Mithilfe ihrer zusätzlichen Stimmen in der Bundesversammlung vertrieb
sie ein amtierendes Bundesratsmitglied aus dem Amt und wählte stattdessen ihren Vor-
sitzenden Christoph Blocher. So einen Coup hatte es seit 1872 nicht mehr gegeben; plötz-
lich wurde die Schweizer Politik interessant.
Doch das Beste sollte noch kommen. Nach den Wahlen von 2007 (Schweizer Wahlen
finden mit der Präzision eines Uhrwerks alle vier Jahre im Oktober statt) taten sich Mit-
te- und Linksparteien zusammen und rächten sich, indem sie Blocher als Bundesrat ab-
wählten. Er erwies sich als schlechter Verlierer und tobte wie ein kleiner Junge, dem man
sein Spielzeug weggenommen hatte. Die SVP stürmte aus der Bundesversammlung, und
zum ersten Mal seit Jahrzehnten gab es in der Schweiz eine Opposition - eine starke Par-
tei, die nicht im Bundesrat vertreten war. Einer Nation, die Parteienpolitik in dieser Form
nicht gewohnt war, versetzte das einen schweren Schock. Willkommen in der Wirklich-
keit!
Weder die Parteien noch das Volk schienen aber zu wissen, wie man mit dieser neu-
modischen Konfrontationspolitik umgehen sollte - dieses Gebrüll und diese Meinungs-
verschiedenheiten waren so unschweizerisch. Und die SVP erkannte bald, wie wenig
Spaß es machte, in der Opposition zu sein. Als dann 2008 der Verteidigungs- (und
Schulsport-)Departementschef von seinem Amt zurücktrat, wurde sein Platz im Bundes-
rat mit einem SVP -Mann besetzt, und die Kompromisspolitik nahm wieder ihren Lauf -
ein erleichterter kollektiver Seufzer ging durch die Schweiz.
Doch obwohl die Regierung, also der Bundesrat, aus den größten Parteien zusammen-
gesetzt ist, heißt das nicht, dass sie bei der Gesetzgebung freie Hand hätte. Die Bundes-
versammlung bildet gewissermaßen ein Gegengewicht zur Regierung und agiert als Op-
position. Sie kann Gesetze verhindern, reformieren oder selbst welche vorlegen und tut
das auch. Und daneben hat sie, wie oben beschrieben, das letzte Wort bei den Wahlen
zum Bundesrat. Aber auch die Bundesversammlung ist ein Kompromissgebilde. Zwar ist
sie aus linken, rechten und Parteien der Mitte zusammengesetzt, da aber 13 Parteien min-
destens einen Sitz dort haben, wechseln Loyalitäten und Allianzen ständig. Natürlich hat
die Parteienpolitik großen Einfluss, doch da schlicht keine Partei die Mehrheit hat, ist je-
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