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en Zwecken dienen, sowie einige jüdische Geschäfte und Delis. Die New Yorker Juden
selbst wohnen heute in Williamsburg, Brown Heights oder Borough Park in Brooklyn.
Farmen und Landwirtschaft bestimmten die Lower East Side, bevor sich im späten 18. Jh.
v. a. zwei Großgrundbesitzer, Henry Rutgers (ein Held der Unabhängigkeitskriege) und
James Delancey, hier niederließen; nach beiden sind heute Straßen benannt. Anfangs
dominierten Einfamilienhäuser das junge Stadtbild, bald schon jedoch war der Zuzug von
Einwanderern so groß, dass mehr und mehr bis zu sechsstöckige Mietskasernen gebaut
wurden. Zunächst kamen die hungernden Iren, die ihrer vernichtend schlechten Kartoffel-
ernte entflohen waren, dann die Deutschen, die die Revolutionswirren von 1848 hierher
verschlugen, und ab etwa 1870 schließlich in mehreren großen Einwanderungswellen die
Juden, die die Lower East Side zu ihrem Schtetel machten und das Viertel am nachhaltig-
sten prägten. Die meisten von ihnen waren osteuropäischer Herkunft und hatten sich vor
den Pogromen in Russland und den umliegenden Staaten in die Neue Welt geflüchtet. Wie
die anderen Einwanderergruppen auch wurden sie nach ihrer Ankunft auf Ellis Island gez-
ielt einem der bald aus allen Nähten platzenden Wohnblöcke in der Lower East Side
zugewiesen, und zwar nach Nationalitäten geordnet: Russen wohnten neben Russen,
Polen neben Polen und Ungarn neben Ungarn.
Insgesamt lebten um 1880 etwa 300.000 osteuropäische Juden in der Lower East Side, die
zu einem der scheußlichsten Elendsviertel der Stadt geworden war, vergleichbar mit Five
Points jenseits der Bowery (→ S. 122) . Arbeit fanden sie in den Bekleidungsfabriken des
Viertels, in denen sie tagaus, tagein unter elenden Bedingungen schuften mussten, um am
Ende mit Hungerlöhnen abgespeist zu werden, die zum Leben kaum ausreichten. Nach
der Arbeit kehrten sie zurück in eine der hiesigen Mietskasernen. Diese tenements genan-
nten Gebäude waren in winzige, oft fensterlose Einzimmer-Wohnungen unterteilt, in die
jeweils eine ganze Familie eingepfercht wurde - ohne Heizung, ohne fließend Wasser und
überhaupt ohne sanitäre Einrichtungen, die einzige Toilette stand im Hof und musste von
allen Mietern des Hauses geteilt werden. Ein authentisches Bild dieser Lebensbedingun-
gen zeichnet das Lower East Side Tenement Museum in der Orchard Street, das man get-
rost zu den Highlights von Manhattan zählen kann.
Mit gut 520.000 Menschen erreichte die Einwohnerzahl der hiesigen jüdischen Gemeinde
1910 ihren Höhepunkt. Danach begann der Exodus. Binnen einer Generation und damit
weit schneller als andere Einwanderergruppen hatten die osteuropäischen Juden die Integ-
ration in die amerikanische Gesellschaft geschafft. Viele Einwandererkinder waren die
soziale Rangskala hochgeklettert und kehrten nun dem Ghetto ihrer Eltern den Rücken.
Schon 1915 lag das Zentrum des jüdischen Manhattan nicht mehr in der Lower East Side,
sondern in East Harlem. Und wer es sich leisten konnte - und das wurden im Laufe der
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