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rechte Hand hielt das ofene Buch (das ihr gewidmet war). Mein
iktionaler Witwer hatte ein anderes Leben - und eine andere Liebe -
als ich und war ganz anders zum Witwer geworden. Doch ich musste
nur in einem Satz ein paar Wörter weglassen, und ich staunte, was
für ein akkurates Bild ich da glaubte entworfen zu haben. Erst später
setzte der schriftstellerische Selbstzweifel ein: Vielleicht hatte ich gar
nicht das korrekte Leid für meine iktionale Figur erfunden, sondern
nur meine eigenen mutmaßlichen Gefühle vorausgesagt - ein leichterer
Job.
Über drei Jahre lang träumte ich weiter in demselben Stil, nach dem-
selben erzählerischen Muster von ihr. Dann hatte ich eine Art Meta-
Traum, und darin zeichnete sich ein mögliches Ende dieser nächtlichen
Arbeit ab. Und wie bei jedem guten Ende hatte ich es nicht kommen se-
hen. In meinem Traum waren wir zusammen, machten alle möglichen
Sachen zusammen, in einem ofenen Raum, und waren glücklich - alles
so, wie ich es inzwischen gewohnt war -, und plötzlich merkte sie , dass
das nicht wahr sein konnte, dass das alles ein Traum sein musste, denn
jetzt wusste sie , dass sie tot war.
Sollte ich mich über diesen Traum freuen? Denn hier ist die letzte
quälende, unbeantwortbare Frage: Was ist »erfolgreiches« Trauern?
Besteht es im Erinnern oder im Vergessen? Ist es Stillstand oder Weit-
ergehen? Oder eine Mischung von beidem? Die Fähigkeit, die verlorene
Liebe stark im Gedächtnis zu behalten, sich daran zu erinnern, ohne et-
was zu verzerren? Die Fähigkeit, so weiterzuleben, wie sie es gewollt
hätte (obwohl das ein heikles Terrain ist, auf dem sich Leidtragende
leicht einen Freifahrtschein ausstellen können)? Und dann? Was
passiert mit dem Herzen - was braucht und was sucht es? Eine Art
innerer Selbstgenügsamkeit, ohne in Neutralität und Gleichgültigkeit
zu verfallen? Und danach eine neue Beziehung, die Kraft zieht aus
der Erinnerung an die verlorene? Ein frommer Wunsch - doch da man
gerade das Schlimmste ertragen hat, fühlt man sich vielleicht zu sol-
chen Wünschen berechtigt. Der Glaube an ein kosmisches (oder auch
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