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er ganz leichten Drehung des Kopfes, aber absolut keiner Veränderung
des Tons, mit Margaret Jourdain zu reden, die dreißig Jahre lang ihre
Lebensgefährtin gewesen war. Dass Margaret Jourdain keineswegs mit
ihnen im Taxi, sondern schon seit 1951 tot war, focht sie nicht an.
Ivy Compton-Burnett wollte mit ihr reden, und das tat sie dann auch
während der ganzen restlichen Fahrt nach South Kensington.
Mir kommt das ganz normal vor. Wir wundern uns nicht, wenn Kinder
Freunde haben, die nur in ihrer Fantasie existieren. Warum sollten wir
uns wundern, wenn auch Erwachsene solche Freunde haben? Nur dass
diese Freunde zugleich auch real sind.
Bonnard malte sein Modell (dann Geliebte, dann Ehefrau) Marthe
gern als eine junge Frau nackt im Bade. So malte er sie auch, als sie
nicht mehr jung war. Nach ihrem Tod malte er sie weiterhin so. Ein
Kunstkritiker nannte das in seinem Artikel über eine Bonnard-Ausstel-
lung in London vor etwa zehn oder fünfzehn Jahren »morbide«. Ich em-
pfand es schon damals als das Gegenteil und vollkommen normal.
Ivy Compton-Burnett vermisste Margaret Jourdain mit »greifbarer,
wütender Vehemenz«. An eine Freundin schrieb sie: »Ich wünschte,
du hättest sie kennengelernt und so auch mehr von mir kennengel-
ernt.« Nach ihrer Ernennung zu einer Dame of the British Empire
schrieb sie: »Der Mensch, der mir am meisten fehlt, Margaret Jourdain,
ist nun seit sechzehn Jahren tot, und ich muss ihr immer noch alles
erzählen … Ich bin nicht vollständig zu einer Dame geworden, weil
sie nichts davon weiß.« Das ist wahr und stellt die Verlorenheit der
Leidtragenden zutreffend dar. Man erstattet laufend Bericht, damit der
geliebte Mensch »Bescheid weiß«. Vielleicht ist man sich bewusst, dass
man sich etwas vormacht (obwohl man, wenn man sich dessen bewusst
ist, sich gleichzeitig nichts vormacht), aber man hört dennoch nicht
auf. Und alles, was man danach noch tut oder erreicht, ist dünner,
schwächer, weniger bedeutsam. Es kommt kein Echo zurück; es gibt
keine Struktur, keine Resonanz, keine Tiefenschärfe.
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