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Manchmal lasse ich sie wissen, nachdem ich das Licht ausgeschaltet
habe, dass sie schon länger nicht mehr in meinen Träumen erschienen
ist, und oft kommt sie daraufhin zu mir (besser gesagt, »sie« »kommt
zu mir« - ich denke nie auch nur eine Sekunde lang, dass das alles
nicht aus mir selbst heraus entstanden sei). Manchmal küssen wir uns
in diesen Träumen, und immer liegt eine Art lachende Leichtigkeit über
dem Ganzen. Sie rügt und tadelt mich nie, lößt mir nie Schuldgefühle
ein oder wirft mir Nachlässigkeit vor (doch da ich diese Träume für et-
was aus mir selbst heraus Entstandenes halte, muss ich sie auch für
selbstsüchtig, ja selbstgefällig halten). Vielleicht sind die Träume so,
wie sie sind, weil es schon in der wirklichen, erlebten Zeit Reue und
Selbstvorwürfe genug gibt. Aber die Träume sind immer eine Quelle
des Trosts.
Umso mehr, als ich, wenn ich bewusst in die Erinnerung hinabsteigen
will, unweigerlich scheitere. Lange kann ich mich nicht weiter zurück-
erinnern als bis zum Anfang des Jahres, in dem sie starb. Mehr als
Januar bis Oktober bringe ich nicht zustande: drei Wochen in Chile
und Argentinien, wo ich meinen 62. Geburtstag in einem hoch gelegen-
en Araukarienwald verbringe, in dem viele Magellanspechte herumhüp-
fen. Dann wieder normales Leben, danach ein Wanderurlaub auf Siz-
ilien und einige unserer letzten gemeinsamen Erinnerungen: riesige
Fenchelplanzen und ein Hügel voller Wildblumen, ein Bild von Anton-
ello da Messina und ein ausgestopftes Stachelschwein, eine Fischer-
stadt, in der mit viel Putt-putt das World Vespa Weekend gefeiert wird.
Doch dann, nach unserer Rückkehr, Besorgnis, wachsende Angst, der
plötzliche Absturz. Ich erinnere mich an jede Einzelheit ihres körper-
lichen Verfalls, ihres Krankenhausaufenthalts, ihrer Rückkehr nach
Hause, ihres Sterbens, ihrer Beerdigung. Aber ich komme nicht weiter
zurück als bis zu jenem Januar; mein Gedächtnis ist wie ausgebrannt.
Eine verwitwete Kollegin von ihr versichert mir, das sei nicht un-
gewöhnlich, meine Erinnerungen würden wiederkommen, aber da es
in meinem Leben nicht mehr viele Gewissheiten gibt und nichts einem
