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Eichenholz ihres Grabzeichens ein. Aber das Gefühl für Muster ist an-
scheinend verloren gegangen. Fred Burnaby sprang zu Beginn seines
Lebens von einem sechs Meter hohen Turngerät und brach sich das
Bein. Sarah Bernhardt sprang gegen Ende ihres Lebens in der Rolle der
Tosca von den Zinnen der Engelsburg und musste dann feststellen, dass
die Bühnenarbeiter vergessen hatten, Matratzen zum Abfedern des
Sturzes auszulegen; sie brach sich das Bein. Nadar brach sich das Bein,
als Le Géant abstürzte; und meine Frau brach sich das Bein auf unser-
er Vortreppe. Das könnte auch ein Muster sein, denkt man, während
es früher als seltsamer, aber banaler Zufall erschienen wäre, einfach
eine Frage der Höhe und wie tief jeder von uns im Leben fällt. Viel-
leicht zerstört das Leid, das alle Muster zerstört, sogar noch mehr: den
Glauben daran, dass es überhaupt Muster gibt. Doch ohne einen sol-
chen Glauben können wir, meine ich, nicht überleben. Darum müssen
wir alle so tun, als ob wir ein Muster inden oder neu erstellen. Schrifts-
teller glauben an die Muster, die ihre Worte bilden, und hoffen und ver-
trauen darauf, dass diese Muster sich zu Gedanken, zu Geschichten, zu
Wahrheiten fügen. Das ist immer ihre Erlösung, ob sie nun leidlos sind
oder leiderfüllt.
Erst Nietzsche, dann Nadar. Gott ist tot und kann uns nicht mehr sehen.
Also müssen wir uns sehen. Und Nadar gab uns die Distanz, die Höhe
dazu. Er gab uns die Gottesdistanz, die Gottesperspektive. Und das en-
dete (vorläuig) mit dem Erdaufgang und den Fotos, die aus der Mon-
dumlaufbahn aufgenommen wurden und auf denen unser Planet (außer
für Astronomen) in etwa so aussieht wie jeder andere Planet auch:
still, kreisend, schön, tot, unbedeutend. So hat Gott uns wahrscheinlich
gesehen und sich deshalb davongemacht. Natürlich glaube ich nicht an
den abwesenden Gott, aber so eine Geschichte ergibt ein nettes Muster.
Als wir Gott getötet - oder verbannt - haben, haben wir auch uns selbst
getötet. Ob uns das damals so richtig aufgefallen ist? Kein Gott, kein
Leben nach dem Tode, kein Wir. Natürlich war es richtig, dass wir ihn
getötet haben, diesen alten imaginären Freund. Und ein Leben nach
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