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leben erschien als Möglichkeit weniger wahrscheinlich. Aber vielleicht
meinte er damit auch, er hätte es vorgezogen, wenn sie überlebt hätte.
Und daran konnte ich kaum etwas auszusetzen haben.
Man weiß ja nie, wie man auf andere wirkt. Die eigene Beindlichkeit
mag sich im Aussehen zeigen oder auch nicht. Und wie fühlt man sich
so? Als wäre man aus ein paar Hundert Metern Höhe abgestürzt, bei
vollem Bewusstsein, wäre mit den Füßen voran mit solcher Wucht in
einem Rosenbeet gelandet, dass man bis zu den Knien darin versank,
und beim Aufprall wären die Eingeweide zerrissen und aus dem Körper
herausgeplatzt. So fühlt sich das an, und warum sollte es irgendwie an-
ders aussehen? Kein Wunder, dass manche auf ein ungefährlicheres Ge-
sprächsthema ausweichen wollen. Und vielleicht meiden sie dabei gar
nicht den Tod, und sie; vielleicht meiden sie dich.
Ich glaube nicht, dass ich sie je wiedersehen werde. Ich werde sie nie
wieder sehen, hören, berühren, in den Armen halten, ihr zuhören, mit
ihr lachen; nie wieder auf ihre Schritte horchen, lächeln, wenn eine Tür
aufgeht; nie wieder ihren Körper an meinen, meinen an ihren drück-
en. Ich glaube auch nicht, dass wir uns in entmaterialisierter Form
wiedertreffen. Ich glaube, tot ist tot. Manche denken, Leid sei eine
Art heftiges, wenngleich berechtigtes Selbstmitleid; andere meinen, es
sei nur das Aufscheinen des eigenen Spiegelbilds im Auge des Todes;
wieder andere sagen, ihnen tue der Hinterbliebene leid, weil der dieses
Leid durchmachen müsse, während der liebe Verstorbene nicht mehr
leiden könne. Das sind Versuche, mit dem Leid umzugehen, indem man
es herunterspielt - und damit auch den Tod. Es stimmt schon, mein Leid
gilt zum Teil mir selbst - seht mal, was ich verloren habe, seht, wie
mein Leben reduziert wurde -, aber es gilt noch mehr, viel mehr, und
das von Anfang an, ihr: Seht doch, was sie verloren hat, da sie jetzt das
Leben verloren hat. Ihren Körper, ihren Geist, ihre strahlende Neugier
auf das Leben. Manchmal fühlt es sich an, als habe das Leben selbst am
meisten verloren, sei im wahrsten Sinne beraubt worden, weil es ihrer
strahlenden Neugier nicht mehr ausgesetzt ist.
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