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einiges darauf hin, dass sie unter diesem Umhang, diesem Tuch nicht
viel anhat. Ihre Miene ist verschlossen und dadurch besonders reizvoll.
Natürlich ist Sarah sehr schön, für das moderne Auge vielleicht noch
schöner als für das der damaligen Zeit. Sie scheint Wahrhaftigkeit,
Theatralik und Mysterium zu verkörpern - und diese abstrakten
Begrife miteinander vereinbar zu machen. Nadar hat auch ein Aktfoto
aufgenommen, das angeblich Sarah Bernhardt zeigt. Man sieht dort
eine bis zur Taille nackte Frau, die mit einem Auge hinter einem aus-
gebreiteten Fächer hervorspäht. Wie dem auch sei, die Porträts der in
Umhang und Tuch gehüllten Sarah sind entschieden erotischer.
Ihre Körpergröße von gerade mal einem Meter fünfzig galt nicht als
das rechte Maß für eine Schauspielerin, angeblich war sie außerdem
zu blass und zu dünn. In der Kunst wie im Leben wirkte sie impuls-
iv und natürlich; sie brach Bühnenregeln und drehte dem Publikum
oft den Rücken zu, wenn sie einen Monolog hielt. Sie schlief mit al-
len männlichen Hauptdarstellern. Sie liebte den Ruhm und die Selb-
stdarstellung - oder um es mit den seidenweichen Worten von Henry
James zu sagen, sie war »eine Erscheinung mit einer bewundernswer-
ten Eignung zur Aufälligkeit«. Ein Kritiker verglich sie nacheinander
mit einer russischen Prinzessin, einer byzantinischen Kaiserin und ein-
er maskatischen Begum und schloss mit der Feststellung: »Vor allem
aber ist sie durch und durch slawisch. Sie ist slawischer als alle Slawen,
die mir je begegnet sind.« Mit Anfang zwanzig bekam sie einen une-
helichen Sohn, den sie überallhin mitnahm, ohne sich um die Missbil-
ligung anderer zu kümmern. Sie war Jüdin in einem weitgehend an-
tisemitischen Frankreich, und im katholischen Montreal wurde ihre
Kutsche mit Steinen beworfen. Sie war kühn und tapfer.
Natürlich hatte sie auch Feinde. Der Erfolg, das Geschlecht und die
rassische Herkunft dieser extravaganten Bohemienne riefen puritanis-
chen Geistern in Erinnerung, warum Schauspieler früher in ungewei-
hter Erde begraben wurden. Und ihre einst so originelle Spielweise
musste im Laufe der Jahrzehnte zwangsläuig veralten, da Natürlichkeit
auf der Bühne etwas ebenso Künstliches ist wie Naturalismus im Ro-
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