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boten sich schon eher an, und ein Taubenzüchter in Batignolles stellte
den Behörden seinen Taubenschlag zur Verfügung: Mit jedem Belager-
ungsballon könne ein Korb voller Vögel ausgelogen werden, die dann
mit Briefen zurückkehren würden. Doch wer die Ladekapazität eines
Ballons mit der einer Taube vergleicht, kann sich gut vorstellen, wie
schwer die Enttäuschung gewogen hätte. Für Nadar kam die Lösung
noch am ehesten von einem Ingenieur, der in der Zuckerproduktion
tätig war. Die für Paris bestimmten Briefe sollten einseitig und in deut-
licher Schrift verfasst und oben mit der Adresse des Empfängers verse-
hen sein. In einer Sammelstelle würde man sie dann zu Hunderten
nebeneinander auf einer großen Leinwand auslegen und fotograieren.
Das Bild sollte mikroskopisch verkleinert, mit Brieftauben nach Paris
gelogen und wieder auf ein lesbares Format vergrößert werden. Dann
könnte man die wiederhergestellten Briefe in Umschläge stecken und
ihren Empfängern zustellen. Das war besser als gar nichts; ja, es war
ein Triumph der Technik. Aber man stelle sich ein Liebespaar vor, bei
dem ein Partner vertraulich und ausführlich beide Seiten des Blatts
beschreiben und die zärtlichsten Worte in einem Umschlag verbergen
kann, während der andere durch den Zwang zur Kürze und das Wissen
behindert ist, dass persönliche Gefühle von Fotografen und Postboten
öfentlich einsehbar sind. Obwohl - ist das nicht manchmal ohnehin das
Wesen und Wirken der Liebe?
Sarah Bernhardt wurde ihr Leben lang von Nadar fotograiert - erst
vom Vater, dann vom Sohn. Bei der ersten Sitzung war sie um die
zwanzig, und Félix Tournachon verfolgte zu der Zeit auch eine andere
stürmische, wenngleich kürzere Karriere: die von Le Géant . Noch ist
Sarah nicht die Göttliche - sie ist eine unbekannte Nachwuchsschaus-
pielerin, doch die Porträts zeigen sie bereits als Star. Sie nimmt eine
schlichte Pose ein und ist in einen Samtumhang oder ein Tuch gehüllt.
Die Schultern sind entblößt, sie trägt keinen Schmuck außer einem
Paar kleiner Kameen-Ohrringe, und die Haare sind mehr oder weniger,
wie die Natur sie geschafen hat. So auch die Bernhardt: Es deutet
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