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Aeronautik und Fotograie waren wissenschaftliche Fortschritte mit
praktischen Folgen für die Allgemeinheit. Dennoch umgab beides in
der Anfangszeit eine Aura von Mysterium und Magie. Für die glotzäu-
gigen Bauerntölpel, die hinter dem Schleppanker eines Ballons herran-
nten, hätte wohl ebenso gut der Häretiker Simon Magus aus dem Ballon
steigen können wie die göttliche Sarah. Und die Fotograie bedrohte of-
fenbar mehr als nur die
amour propre
des Modells. Nicht nur Hinter-
wäldler fürchteten, die Kamera könne ihnen die Seele stehlen. Nadar
erinnerte sich, dass Balzac eine Theorie der Persönlichkeit hatte, der
zufolge das Wesen des Menschen aus einer nahezu unendlichen Folge
übereinanderliegender spektraler Schichten bestehe. Wie der Romanci-
er weiter glaubte, werde bei der »Daguerreotypischen Operation« eine
dieser Schichten abgezogen und von dem magischen Apparat einbehal-
ten. Nadar wusste nicht mehr, ob diese Schicht vermeintlich für immer
verloren oder ob eine Regeneration möglich war, konnte sich aber die
kecke Bemerkung nicht verkneifen, Balzac habe bei seiner Korpulenz
nicht so viel zu befürchten, wenn er ein paar Spektralschichten verlier-
en würde. Balzac stand mit dieser Theorie - oder Befürchtung - jedoch
nicht allein. Er teilte sie mit seinen Schriftstellerfreunden Gautier und
Nerval, was den dreien bei Nadar den Spitznamen »das kabbalistische
Trio« eintrug.
Félix Tournachon war ein liebender Gatte. Er hatte Ernestine im
September 1854 geheiratet. Es war eine unerwartete Hochzeit, die
seine Freunde überraschte: Die Braut war ein achtzehnjähriges Mäd-
chen aus der protestantischen Bürgerschicht der Normandie. Sicher,
sie besaß eine Mitgift, und für Félix hatte die Ehe den nützlichen Efekt,
dass er damit einem Leben in mütterlicher Obhut entging. Doch die
Beziehung scheint all seiner Eskapaden zum Trotz ebenso liebevoll wie
dauerhaft gewesen zu sein. Tournachon stritt sich mit seinem einzi-
gen Bruder und seinem einzigen Sohn; beide wurden aus seinem Leben
gestrichen oder strichen sich selbst daraus. Ernestine war immer da.
Wenn es in seinem Leben ein Muster gab, dann war sie es, die dafür
