Travel Reference
In-Depth Information
Nach Shamal führen nur die zerknüllte alte Straßenkarte und eine Wegbes-
chreibung aus einem Reiseführer. Und das, obwohl mancher Patriot den Palast
der Königin für die wichtigste archäologische Stäte des Landes hält, weil seine
Legende so weit zurückreicht.
Die geschriebene Geschichte der Emirate beginnt demnach mit einem
Märchen, das älter ist als »1001 Nacht«, viel älter. Einem Märchen, das in jenem
Teil der Antike beginnt, über den wir kaum mehr wissen als wundersame
Geschichten. Es ist das Märchen der Königin von Saba, jener sagenhaten, uner-
messlich reichen Herrscherin, die vor geschätzten 12000 Jahren König Salomo
den Kopf verdrehte. Die Bibel erzählt davon, der Koran, die äthiopische Sagen-
welt - und die Leute im Emirat Ras Al-Khaimah.
Selbst dort gewesen, am Ort des Palasts, sind vermutlich die wenigsten, denn
wenn man nicht wüsste, dass er da ist, man würde glat daran vorbeifahren. Ein
kleiner Felsenberg neben der Straße, eine Mauer mit zwei Durchlässen, ein
steiler, steiniger Anstieg. Ziegen liegen im Schaten der Mimosenbäume und
wundern sich über die Besucher. Von Palast keine Spur. Nur Steine, ein paar
Mauerreste, verwehte Ausgrabungen. Hier soll die größte Königin ihrer Zeit ge-
wohnt haben? Unmöglich ist das nicht. Bilkis, wie sie in Arabien heißt, war
schon in der Antike so etwas wie eine Fata Morgana, war in Jemen, Äthiopien,
am Golf und in der Levante ein Traumbild, ein Frauenarchetyp, den viele Ge-
genden des Nahen und Mitleren Ostens faszinierend inden. Genau wie die
Königin Zenobia, Herrscherin von Palmyra im 3. Jahrhundert nach Christus.
»Palast der Zenobia« nennen die einheimischen Emiratis deshalb die Ruinen auf
dem Hügel. Das ist genauso wahr, genauso falsch, genauso sagenhat.
In anderen Ländern häte man an der Stelle einen Besucherparkplatz, ein Be-
sucherzentrum, einen Souvenirladen und eine multimediale Saba-Experience ge-
baut. In Shamal aber blicken die Erwachsenen inster, wenn schon wieder Auto-
fahrer mit zerknüllten Karten und verzweifelten Gesichtern durchs Dorf tuckern.
Halbstarke Bratzen machen sich gelegentlich einen Jux daraus, von vorbei-
fahrenden Mofas aus Schmieröl auf die Scheiben der fremden Autos zu sprühen.
Durch ein Loch in der Mauer können Besucher in das Gelände einsteigen. Ziegen
grasen hier an den trockenen Büscheln zwischen den Steinen. Ein wenig Müll
liegt herum. Es führt kein Weg hinauf, und oben ist für das Auge des Nicht-
Archäologen nicht mehr als ein Haufen Steine erkennbar. Wer hat hier gelebt?
Search WWH ::




Custom Search