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Wenn Fremde herrschen
Es ist erstaunlich, dass bisher noch niemand auf die Idee gekommen ist, einen Film
über die Geschichte Korsikas zu drehen. Dabei häte so ein Werk großes Potenzial.
Es wäre nicht nur ein Drama, wie es selbst Shakespeare sich nicht tragischer häte
ausdenken können, sondern auch ein blutrünstiger Splaterilm. Freigegeben wäre
er erst ab 16 Jahren, wegen der unzähligen Gewaltszenen. Das Drehbuch wäre so
dick wie ein Telefonbuch, es enthielte unzählige Nebenschauplätze, unvorherse-
hbare Wendungen und sehr viel Action. Am Set bräuchte man für diesen Film
fässerweise Kunstblut, Wafen aller Gatungen und eine Hundertschat an Sta-
tisten, deren Aufgabe vor allem darin bestünde, möglichst dramatisch zu sterben.
Es gibt nur wenige Berichte antiker Geschichtsschreiber, die bei der Rekon-
struktion der Ereignisse helfen können. Und auch diese sind mit Vorsicht zu
genießen, denn sie sind ziemlich subjektiv. So fällte etwa der antike römische
Philosoph Seneca ein vernichtendes Urteil über Korsika: »Wo kann man etwas so
Nacktes, so auf allen Seiten Abgerissenes inden als dieses Felsenland? Wo ist
eines, das, wenn man an Produkte denkt, nüchterner, wenn man die Lage berück-
sichtigt, schauerlicher, oder wenn man auf das Klima sieht, unfreundlicher wäre?«
Allerdings muss man bedenken, dass sich der Mann nicht freiwillig auf Korsika
aufhielt, er verbüßte dort ein achtjähriges Exil, seine Strafe wegen angeblichen
Ehebruchs mit einer Schwester Caligulas. Da kann man schon mal in depressive
Stimmung kommen.
Ganz anders, nämlich durch und durch positiv, äußert sich der antike Historiker
Diodorus Siculus. Er hat ofensichtlich eine gute Zeit auf der Insel verbracht: »Die
Korsen sind gerecht unter sich und leben menschlicher als alle anderen Barbaren
anderswo. Denn indet man in den Bäumen der Berge Honigwaben, so gehören sie
ohne Widerstreit dem ersten Finder. Die Schafe, durch gewisse Merkmale gezeich-
net, bleiben ihren Herren, auch ohne daß er sie hütet. Auch in der übrigen
Lebensordnung bewahrt ein jeder an seinem Platze die Regel des Rechtums auf
bewundernswürdige Weise.«
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