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ist man in Wohlgeruch eingehüllt. Ist es der wilde Feigenbaum, der gerade
Früchte trägt? Der weiße Jasmin, der im saten Grün eines frisch gewässerten
Gartens seinen betörenden Dut über den Zaun schickt? Die schwere Süße der
üppigen Blütenstauden des Blauregens, der sich an der Mauer eines Steinhauses
emporrankt? Ein Buket von Wildkräutern in der Mitagshitze?
Der Morgennebel lichtet sich, auf der Fähre beginnt ein Schauspiel, das den Titel
»Korsika - Insel der Schönheit« trägt. Vor den Augen der Passagiere erhebt sich
ein gewaltiger Koloss aus Stein aus dem Meer. Wie die Zähne eines wilden Tieres
ragen dessen Gipfel in den Himmel, seine Täler sind noch dunkelgrün verschat-
tet. Straßen, Häuser, Felder - von Menschenhand Gemachtes ist nur vereinzelt zu
erkennen. Statdessen: Steine, Wälder, Macchia, über 2000 Meter hohe Berge. Das
ist Korsika. Nicht mal die wesentlich größere Insel Sardinien, nur wenige Kilo-
meter von Korsikas Südspitze entfernt gelegen, kann da mithalten. Gegen dieses
schrofe Gebirge wirkt sie wie eine hübsche, aber etwas brave Nachbarin.
»Alles in dieser Landschat ist von einer ernsten und traurigen Schönheit«,
schrieb Prosper Mérimée, der Korsika im 19. Jahrhundert als Generalinspektor
für öfentliche Bauten bereiste. Traurig? Eher hat dieser Felsen im Mitelmeer
sich etwas Archaisches bewahrt, das aus unserer zivilisierten Welt nahezu ver-
schwunden ist. Hier spürt man mit allen Sinnen, was Ewigkeit bedeutet. Korsika
hat etwas Majestätisches. Diese Insel weckt das Bewusstsein für die eigene Ver-
gänglichkeit und tröstet zugleich über sie hinweg.
Unser Schif läut mit einem Tuten in den Hafen von Bastia ein. Ein winziges Lot-
senboot schaukelt auf der Bugwelle des gelb-blauen Dampfers. An Bord ertönt,
seit ich denken kann, bei Ankunt und Abfahrt die Ouvertüre zur »Diebischen El-
ster«. Nicht ohne Grund wurde ihr Komponist Gioachino Rossini »Signor Cres-
cendo« genannt: erst ein langsamer Trommelwirbel, gefolgt von einem schmis-
sigen Dada dadada da da da , in seiner Intensität gesteigert bis zu einem tri-
umphalen Finale. Was für ein Vorhangöfner! Da macht es auch nichts, dass die
Töne arg metallisch aus den Lautsprechern scheppern.
Korsika ist eine Insel. Das ist nicht so banal, wie es klingt, auch weil es bedeutet,
dass der französische Staat bezahlt, sobald jemand eine Reise dorthin bucht. Ein-
hundertsiebenundachtzig Millionen Euro an Subventionen überweist er jedes
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