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einem Baum fand sie einen Steinpilz, den sie in ein Omelet schnit und mit Min-
ze würzte. Zum Dessert plückte sie eine letzte reife Himbeere von einer stacheli-
gen Rute, die sich an ihrem Haus emporrankte.
Zu Weihnachten gab es bei Familie LaSassa ot Wildschweinbraten, gefüllt mit
getrockneten Aprikosen (falls das Wildschwein doch mal welche übrig gelassen
hate) oder Esskastanien. Zu diesem Zweck statete Véronique jenem Nachbarn,
den ihre Muter einst des Obstdiebstahls verdächtigt hate, einen Besuch ab und
bat um eine schöne Keule. Antoine war früher der Bäcker des Dorfes und ist seit
vielen Jahren in Rente. Inzwischen ist er weit über achtzig, was ihn aber nicht
daran hindert, seinen Garten zu bestellen, Tomaten, Zucchini, Bohnen und Kar-
toffeln zu ernten und zusammen mit seinen Söhnen auf die Jagd zu gehen. Ein-
mal begegnete ich dem alten, ehrwürdigen Korsen, als er gerade von so einer
Hatz zurückkehrte. Er gab mir seine trockene, schwielige Hand und erzählte, er
habe gerade höchstpersönlich ein riesiges Wildschwein geschossen. Es sei
bien
costeau
, ganz schön krätig, vier Männer seien nötig gewesen, um es aus dem
Dickicht der Macchia zu schleppen. Dazu deutete er mit beiden Händen die Um-
risse eines wahren Ungetüms an - mindestens so groß wie ein ausgewachsener
Stier.
Erwähnte ich schon, dass Jägerlatein eine weitere der inoiziellen Sprachen
Korsikas ist? Bei jeder sich bietenden Gelegenheit erzählt man sich die neuesten
Heldengeschichten. Immer ist der Alltag dabei ein bisschen schöner und
großartiger als in der Realität. Das neue Auto ist eine Limousine, die neue
Wohnung ein Schloss. Und der Sohn macht sicher bald seine erste Million. Auch
François' Sohn Julien beherrscht diese Form der phantasievollen Übertreibung.
Als ich ihn einmal fragte, wie die Jagdsaison gelaufen sei, erwiderte er lässig:
»Och, na ja, wir haben diesmal nur etwa hundertzwanzig Wildschweine
geschossen.« Ha, ha. 120 Wildschweine? So viele können die Dörler ja nicht ein-
mal verdrücken, wenn sie neben Asterix und Obelix auch alle anderen hungrigen
Gallier einladen.
Einmal brachte Antoine meinen Eltern eine Plate mit Wildschweinbraten
frisch aus dem Ofen vorbei. Durch Zufall haten sie gerade Besuch von italienis-
chen Freunden, die ausgesprochene Gourmets sind. Meine Muter hate sich
schon den Kopf darüber zerbrochen, in welches Restaurant sie die Gäste aus-
führen würden, denn richtig gute Küche indet man auf Korsika leider nicht an
jeder Ecke - viele Restaurant setzen auf das touristische Standardmenü mit
