Travel Reference
In-Depth Information
Terroir statt Terror
Im Wörterbuch wird einem für den französischen Ausdruck avoir belle allure die
Übersetzung »eine elegante Erscheinung sein« angeboten. Das ist korrekt. Allerd-
ings beinhaltet diese Redewendung noch etwas mehr, nämlich eine generell an-
mutige Haltung dem Leben gegenüber. Dazu gehört unbedingt, immer die Conten-
ance zu wahren und ein charmanter Gesprächspartner zu sein, ganz gleich, in
welcher Gemütslage man sich gerade beindet. Heute ist diese Haltung beinahe
ausgestorben, aber es gibt noch einige, naturgemäß meist ältere Menschen, die sie
sich bewahrt haben. Die Schauspielerin Catherine Deneuve ist so ein Fall, aber
auch unsere korsische Nachbarin im Dorf, Véronique LaSassa.
Sie entstammt einer der besseren Familien der Insel (so drückt sie sich aus), in
denen früher nicht etwa das Korsisch der Bergbauern, sondern Italienisch ge-
sprochen wurde. Als junges Mädchen zog es sie in die Welt hinaus, sie lebte in
Paris, wo sie bei Christian Dior und anderen Couturiers arbeitete. Als sie Ende der
Vierzigerjahre das Angebot bekam, ein Modehaus in Teheran zu vertreten, erkun-
digte sie sich erst einmal bei ihrem Bruder, wo das denn überhaupt sei. Der zeich-
nete ihr im berühmten Restaurant Fouquet's auf den Champs-Élysées eine
Landkarte auf eine Serviete. Und er erzählte Véronique, dass Schah Mohammad
Reza Pahlavi, der den Iran seit einigen Jahren regierte, und seine diversen
Ehefrauen als kultiviert und modeinteressiert galten. Véronique war beruhigt, die
Herrscherfamilie in Fragen der Haute Couture zu beraten würde ihr ein Vergnü-
gen sein. Die Politik des Monarchen war für sie zweitrangig. Sie sagte zu und
stürzte sich als alleinerziehende Muter eines unehelichen Sohnes in das Aben-
teuer Iran.
Heute ist Véronique LaSassa weit über 90. Seit Kurzem wohnt sie in einem
kleinen Altersheim im Norden Korsikas, ihr Zimmer ist, verglichen mit ihrem
prächtigen blütenumrankten Haus voller Antiquitäten und Gemälde, winzig,
dunkel und trostlos. Doch Véronique weigert sich, das wahrzunehmen. Stat zu
klagen, schwärmt sie von der Aussicht aufs Meer (» splendide! «), die man allerdings
nur erhascht, wenn man sich im Treppenhaus weit aus dem Fenster lehnt, und von
Search WWH ::




Custom Search