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Unterzeichnet war der Brief mit » Mouvement pour la Vie « (»Bewegung für das
Leben«), das ist eine Gruppierung von Frauen, die sich schon 1995 mit demselben
Ziel zusammengeschlossen hate, dann aber jahrelang nichts mehr von sich hate
hören lassen. Drei Jahre nach der Gründung der Bewegung aber wurde der dam-
alige Präfekt Claude Érignac erschossen, und für einen Moment fanden die For-
derungen der Frauen großen Widerhall: 40000 Korsen demonstrierten in Bastia
und Ajaccio gegen die Gewaltverbrechen, und zum ersten Mal in der Geschichte
Korsikas haten die Frauen öfentlich deutlich gemacht, dass sie sich nicht mehr
damit zufriedengeben, die Toten wie bisher in aller Stille zu beweinen und sich
ansonsten nicht weiter dazu zu äußern.
Die französische Regierung richtete darauhin eine Kommission ein, die sich
mit dem Problem befassen sollte, aber viel ist seither nicht passiert. Im Gegenteil,
die Spirale drehte sich immer schneller, und inzwischen ist Korsika, auf die
Bevölkerung hochgerechnet, in Europa die Region mit der höchsten Mordrate. Im
Jahr 2013 wurden bis Juni bereits elf Menschen umgebracht, in den vergangenen
neun Jahren kam es zu 400 Morden und Mordversuchen. Catherine Millet, Funk-
tionärin des Generalrates von Nordkorsika ( Conseil Général de Haute-Corse ),
schiebt den Schwarzen Peter aber nicht ausschließlich der französischen Regier-
ung zu, sondern kritisiert auch die korsischen Frauen: »Die meisten Frauen ver-
wöhnen ihre Söhne zu sehr. Es ist höchste Zeit, dass sie den Kokon aufschneiden
und ihnen etwas anderes als den Ehrenkodex beibringen!«
Wie sah eigentlich früher der Alltag einer einfachen Bauersfrau aus? Bis Mite
des 20. Jahrhunderts war es nichts Ungewöhnliches, wenn sie zehn bis zwölf
Kinder bekam, von denen sechs oder sieben überlebten. Sie kochte, wusch die
Wäsche im Waschhaus, holte Wasser am Brunnen, buk Brot im gemeinschatlich
genutzten Ofen. Sie beackerte den Garten, kümmerte sich um die Kastanienkul-
turen, machte Käse und verkaute ihn auf dem Markt, spann Wolle, webte und
nähte und versorgte alte und kranke Verwandte. Sie ging zu Fuß, während ihr
Mann vor ihr herrit, sie trug schwere Lasten, während ihr Mann lediglich sein
Gewehr schulterte. Es schickte sich für ihn nicht, seiner Frau zu helfen. Und
wenn es sein musste, etwa weil mal wieder eine blutige Familienfehde ausbrach,
half sie ihrem Mann dabei, die Flinte zu laden. Wurde er getötet, zögerte sie nicht
und stürzte sich an seiner Stelle in den Kampf.
Zwar garantierte Pasquale Paoli den Frauen schon 1755 in seiner Verfassung
für die unabhängige korsische Nation das Wahlrecht, aber davon haten sie nicht
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