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vor mir, ich konnte sehen, dass er ein Stück Klopapier in der Hand hielt. Er ließ
das Fenster herunter und sagte: »Steigen Sie ein, ich fahre Sie ganz nach hinten,
dann können Sie sich hinter einem der parkenden Lastwagen erleichtern.« Ich
zögerte; zu einem fremden Mann ins Auto zu steigen, um mich dann zwar nicht
vor seinen Augen, aber dennoch unter freiem Himmel (mit Blick auf den Über-
wachungstower des Flughafens) mit heruntergelassener Hose neben einen Lkw
zu hocken erschien mir einigermaßen kurios. Aber der Korse blickte mich so fre-
undlich und mitfühlend an, dass ich einstieg. Da soll noch mal einer sagen, die
Korsen seien nicht hilfsbereit! Das Verbot der Chein war elegant umgangen, und
ich konnte mich anschließend entspannt der Rückgabe des Wagens widmen. Im
Auto erzählte mir der Mann, dass er auch nicht verstehe, weshalb die Kunden die
Toileten nicht benutzen dürten, aber die Patronne sei eben der Meinung, die
Touristen würden alles dreckig machen. Sie war an diesem Tag zwar gar nicht da,
aber gegen ihr Verdikt zu verstoßen kam ihm nicht mal ansatzweise in den Sinn.
Schade eigentlich, ich häte eine derart Respekt einlößende Frau gerne
kennengelernt.
Langsam verlassen immer mehr Frauen die Sphäre des Häuslichen und erobern
peu à peu die Öfentlichkeit. Im korsischen Regionalparlament, der Assemblée de
Corse , besetzten die Frauen nach den Wahlen von 2004 stolze 53 Prozent der
insgesamt 51 Sitze. Zum Vergleich: Im Jahr 1998 waren es nur 14 Prozent. Was
die Verwaltung der Kommunen angeht, sind die Frauen aber noch unterrepräsen-
tiert. Nur 48 der 360 Kommunen wurden 2001 von Frauen regiert, das entspricht
13 Prozent. Zudem handelt es sich durchweg um winzige Ortschaten, nur
fünf Prozent der Bürgermeisterinnen stehen einer Gemeinde von mehr als 100
Einwohnern vor. Borgo wurde als einzige Gemeinde mit über 3500 Einwohnern
von einer Frau regiert.
Auch in der öfentlichen Diskussion mischen immer mehr Frauen mit. Im
Herbst 2012 forderte eine Gruppe Korsinnen in einem ofenen Brief, den sie in
der Tageszeitung »Libération« veröfentlichten, Präsident François Hollande auf,
endlich etwas gegen die Gewalt auf der Insel zu tun. Anlass war die Erschießung
des Anwaltes Antoine Sollacaro, der achtzehnte Mord in jenem Jahr und eine
weitere Umdrehung der blutigen Gewaltspirale. Bloße Willensbekundungen
genügten ihnen nicht mehr, schrieben die Frauen aufgebracht, die Situation er-
fordere endlich konkrete Maßnahmen. Schließlich gehe es auch darum, der jun-
gen Generation andere Lebensentwürfe vorzuleben als den des (Ehren-)Mörders.
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