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Grinsen: »Es stimmt alles, was auf den Postkarten zu sehen ist, nur diese hier, die
ist völlig falsch!« Er hielt eine Karte hoch, auf deren linker Seite ein Klis-
cheekorse abgebildet war, ein kleiner Mann mit Jagdgewehr und brauner Weste.
Wenige Schrite dahinter stand seine Frau, komplet verhüllt mit dem traditionel-
len schwarzen Manteltuch, der faldeta , und dem schwarzen Koptuch, dem
mandile . Sie sah aus wie eine strenggläubige Muslimin. Darunter war zu lesen
»damals«. Auf der rechten Seite der Karte stand »heute«, und das Verhältnis war
umgekehrt. Im Vordergrund posierte eine selbstbewusste Sexbombe im knappen
Bikini und mit einer Peitsche in der Hand, im Hintergrund machte ihr Mann
Männchen - ein armes untergebutertes Würstchen.
»Martine«, rief der Ladeninhaber über seine Schulter, »komm her und schau
dir das an!« Eine blonde Matrone, wohl seine Ehefrau, kam aus dem Hinterzim-
mer und sagte mit einem abschätzigen Blick auf das Motiv: »Hören Sie nicht auf
ihn, natürlich stimmt das!« In diesem Moment betrat eine ältere Dame das
Geschät, ofensichtlich eine Bekannte von Martine. »Das musst du dir anse-
hen!«, rief diese, worauhin die Kundin umständlich ihre Brille aus dem Etui
nestelte und die Karte ebenfalls in Augenschein nahm. Zum Schluss beugten wir
uns zu viert, ein Mann und drei Frauen, über das Motiv wie über einen seltenen,
anthropologisch höchst bedeutsamen Fund und waren uns uneins, was er zu
bedeuten hat. Ein harmloser Witz ist das Verhältnis von Mann und Frau auf Kor-
sika jedenfalls nicht. Der Geschlechterkampf, er tobt auch auf der Insel.
Die moderne Korsin dominiert also ihren Mann und macht ihn mit Sex gefügig.
Wenn dem wirklich so ist, dann tut sie das allerdings nach guter alter korsischer
Tradition nur in den eigenen vier Wänden. Denn jedem, der sich länger in einem
korsischen Dorf auhält, wird aufallen, dass die Frauen während des größten
Teils des Tages unsichtbar bleiben. Morgens sieht man sie die Einkäufe erledigen,
doch dann überlassen sie den Dorfplatz, die Straßen und Cafés den Männern.
Wer nicht arbeiten muss, der laniert umher, hält hier und dort ein Schwätzchen
und landet früher oder später unweigerlich an der Bar, dem Zentrum des Dorfes,
wo Neuigkeiten ausgetauscht, politische hemen diskutiert, Geschäte gemacht
und Karten gespielt werden. Frauen, außer vielleicht ein paar unwissende Touris-
tinnen, haben dort um diese Uhrzeit nichts zu suchen. Und erstaunlicherweise
halten sich noch immer alle daran, auch wenn sich tatsächlich einiges geändert
hat zwischen den Geschlechtern: Immer mehr Frauen sind heutzutage auf Kor-
sika berufstätig, wenn auch überwiegend in Teilzeit (2012 waren es 84 Prozent
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