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genen Clans oder andere Einlüsse zu regieren. Jeden zweiten Tag käme irgendein
entfernter Cousin oder alter Grundschulfreund hereingeschneit und würde einen
klitzekleinen Gefallen einfordern. Diesen auszuschlagen käme einem Afront
gleich, der ernsthate Konsequenzen nach sich zöge. In der Praxis aber hat ein
Präfekt, der von außen kommt, um die Politik Frankreichs durchzusetzen, eben-
falls schlechte Karten. Als pinzutu , wie die Korsen die Festlandfranzosen leicht
verächtlich nennen (der Begrif stammt von dem spitz zulaufenden Hut, den die
französischen Soldaten bei der Invasion Korsikas im Jahr 1768 trugen), stößt er
auf eine Wand des Schweigens und des Widerwillens und wird als Fremdkörper
betrachtet, dem es niemals gelingen wird, in den Kern der korsischen Gesellschat
vorzustoßen. Dazu kommt, dass ein letztes Tabu gefallen ist, seitdem im Jahr 1998
der damalige Präfekt Claude Érignac mit drei Schüssen ermordet wurde. Die
Botschat häte man deutlicher nicht überbringen können: Repräsentanten des
französischen Staates sind unerwünscht.
Im Herbst 2013 wurde mal wieder ein neuer Präfekt nach Korsika geschickt,
Christophe Mirmand heißt der (Un-)Glückliche. Er war vorher für nicht einmal
zwölf Monate Präfekt des Départements Alpes-Maritimes und hate den Posten
davor zwei Jahre lang in den Savoyen inne. Kontinuität sieht anders aus. Er ist
verheiratet und hat eine Tochter namens Joséphine. Letzteres könnte immerhin
ein Vorteil sein, denn so hieß die Ehefrau des berühmten Korsen Napoleon Bona-
parte, ein Umstand, den die korsische Regionalzeitung »Corse-Matin« sogleich
lobend hervorhob. Ansonsten aber muss man kein Hellseher sein, um zu ahnen,
dass das berufsbedingte Zusammentrefen von Familie Mirmand und den Korsen
nicht besonders herzlich ausfallen dürte. Aber Mirmand ist Proipolitiker durch
und durch, weswegen er gute Miene zum bösen Spiel machte. Er ließ sich nicht
lumpen und verbrachte zur Vorbereitung auf seinen Job im wilden Kurdistan,
Pardon, auf Korsika glat eineinhalb Tage mit seinem Vorgänger.
In einem Interview, das »Corse-Matin« mit ihm vor seinem Amtsantrit führte,
erzählte er stolz von diesem selbstlosen Einsatz, nicht ohne zu erwähnen, dass es
natürlich noch viel Arbeit gebe. Dieses Interview ist auch sehr aufschlussreich,
was das Selbstbild der Korsen angeht. Im Vorspann heißt es stolz: »Auf Korsika
hat man kein leichtes Spiel. Korsika versteht auch nicht unbedingt Spaß. Korsika
ist nicht einfach zu regieren.« Und dann der Schlüsselsatz: » En outre , elle est terre
avant même d'être terrain .« Es ist nicht einfach, diesen Satz mit all seinen subtilen
Bedeutungsebenen ins Deutsche zu übersetzen. Wortwörtlich bedeutet er so viel
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