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um wohl? Weil der Autor, Jérôme Ferrari, korsische Wurzeln vorweisen kann und
außerdem 15 Jahre lang als Philosophielehrer auf der Insel gearbeitet hat. Als
sein Roman »Predigt auf den Untergang Roms« auch noch mit dem Prix Goncourt
ausgezeichnet wurde, kannte die Begeisterung kein Halten mehr: Ein Korse war
öfentlich zum Intellektuellen ausgerufen und sein Buch mit dem wichtigsten
französischen Literaturpreis bedacht worden! Und das Beste daran: Der Roman
spielt auch noch auf Korsika. Er handelt von zwei Freunden, die ihr Philosophi-
estudium in Paris an den Nagel hängen, um im korsischen Hinterland eine Bar
aufzumachen. Was für ein Triumph!
Um Entäuschungen zu vermeiden: Wer das Buch liest, wird in einem leicht
ironischen Predigerton in die Ideenwelt von Augustinus und Gotfried Wilhelm
Leibniz eingeführt. Es geht um die beste aller Welten und deren Zusammenbruch,
den Ursprung allen Seins, um einen strafenden Got und den globalisierten Mas-
sentourismus. Allein, um Korsika im Besonderen geht es nie. Das Buch könnte
genauso gut an jedem anderen ländlichen Touristenort spielen. In Interviews
sagte Ferrari, ihn fasziniere an Korsika die Mischung an archaischer und tour-
istischer Welt, sein Buch aber liefert dafür wenig Anschauungsmaterial. Weniger
bekannt, aber viel aufschlussreicher, was Korsika angeht, ist Ferraris Roman
»Balco Atlantico«. Schauplatz ist wieder die Bar in den korsischen Bergen, das
hema aber sind der korsische Unabhängigkeitskampf und der Bombenterror der
Achtzigerjahre. Ferrari ermöglicht den Lesern einen Blick in die Köpfe seiner am-
bivalenten Figuren. Was man darin erblickt, sind neben universellen mensch-
lichen Abgründen auch typisch korsische Denk- und Verhaltensweisen.
Da Frankreich zentral regiert wird, werden die Posten im öfentlichen Dienst
auch zentral vergeben. Das hat zur Folge, dass Lehrer, Verwaltungskräte oder
Polizisten der Gendarmerie und der Nationalpolizei, von Paris gesteuert, ins gan-
ze Land entsandt werden. Auf diese Weise werden häuig Beamte auf die Insel
geschickt, die nichts über sie wissen und ihren Job dort nicht freiwillig antreten.
Man kann sich vorstellen, dass dieses Verfahren, vorsichtig formuliert, nicht im-
mer die besten Voraussetzungen für eine gute Zusammenarbeit mit der Bevölker-
ung schat. Was das Amt des Präfekten angeht, des höchsten Staatsrepräsent-
anten in einem Département, ist diese Fremdheit Programm. Der Präfekt soll sich
seiner Aufgabe unvoreingenommen und frei von Verbindlichkeiten aus früherer
Zeit annehmen können. Das ist theoretisch gut gedacht, denn gerade auf Korsika
wäre es als Einheimischer unmöglich, ohne Rücksicht auf die Interessen des ei-
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