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halb eines Tages ausmisten sollte. Das gelang ihm, indem er zwei nahe gelegene
Flüsse so umleitete, dass sie durch die Ställe lossen und den ganzen Kuhmist ein-
fach wegwuschen. Ich fand diesen Einfall wahrscheinlich deswegen so genial,
weil ich mir vorstellte, wie ich die Aufgabe lösen würde, wäre ich ein Hirtenmäd-
chen auf Korsika.
Es passierte ot (und passiert noch heute), dass man auf der Landstraße abrupt
anhalten musste, weil eine gemächlich wiederkäuende Kuh die Straße versperrte.
Oder weil eine riesige Schaherde gerade die Fahrbahn überquerte und die Läm-
mer kreuz und quer in alle Richtungen ausrissen. Ich fragte mich, wie deren
Ställe wohl ausgemistet würden und wie man diese stinkende Arbeit verein-
fachen könne. Damals wusste ich noch nicht, dass die einsamen Kühe »Subven-
tionskühe« waren, die mehreren Eigentümern auf einmal gehörten und gar kein-
en Stall haten. Sie waren nur deswegen angeschat worden, damit deren Bes-
itzer eine satige Prämie aus Brüssel einstreichen konnten, was danach mit den
Tieren passierte, war ihnen egal.
Ich hate auch noch nie von der »Transhumanz« gehört, der auf Korsika prakt-
izierten traditionellen saisonabhängigen Wanderweidewirtschat zwischen Berg
und Ebene. Den Sommer verbringen die Hirten mit ihren Tieren hoch oben in
lutigen Bergregionen, in denen die Weiden noch schön frisch sind, im Winter
steigen sie mit ihren Herden hinab in die Ebenen, wo die Temperaturen milder
sind und die Tiere auf den zu dieser Jahreszeit unbebauten Feldern grasen dürfen.
Eigenes Land besitzen die Hirten in den seltensten Fällen, weswegen sie auch
nicht das Recht haben, es einzuzäunen. Weiderechte beruhen ot auf mündlichen
Absprachen mit den Landeigentümern.
Die Hirten leben im Einklang mit der Natur und verbringen ihre Tage draußen
mit ihren Tieren, egal, ob die Sonne brennt oder ob es stürmt und regnet.
Niemand kann ihnen Vorschriten machen, sie sind ihre eigenen Herren. Sie gel-
ten als Wahrer der Tradition und Sprache, als Hüter der korsischen Kultur und
Poesie. Sie stehen etwas außerhalb der Gesellschat und sind doch ein integraler
Bestandteil derselben. Sie sind frei und ungebunden, zwei Ideale, nach denen die
Korsen seit Jahrtausenden streben und die ihnen immer wieder streitig gemacht
wurden. Das ist auch der Grund, warum dieser Beruf so stark verklärt wird - und
warum sich auch heute noch junge Korsen und Korsinnen dafür entscheiden,
Hirten zu werden.
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