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einziger Sohn François lag, stieß sie einen Schmerzensschrei aus, der im ges-
amten Tal widerhallte.
Kurz darauf zog Colomba Bartoli zu Verwandten ins nahe gelegene Dorf Ol-
meto. Dort besuchte sie 1839 Prosper Mérimée und hörte atemlos den
leidenschatlichen Geschichten der Vendeta-Rentnerin zu, der er später mit sein-
er Erzählung ein leicht geschöntes und verjüngtes literarisches Denkmal setzte.
Heroisch war ein Leben als obdachloser Outlaw in Wahrheit natürlich nicht. Die
Banditen hausten in zugigen Höhlen, ot in den unwegsamen Gegenden um den
Monte Cinto, den Monte Rotondo und den Monte Sant'Appiano herum, aber auch
im Niolu und Fiumorbu. Um dort überleben zu können, waren sie auf die Hilfe
der Bevölkerung und der Hirten angewiesen, die sie diskret mit Essen, Munition
und allem Nötigen versorgten. Tatsächlich waren wohl viele der Männer »Ban-
diten aus Ehrgeiz«, wie Gregorovius das nennt. Etwas weniger pathetisch formu-
liert, bedeutet das: Sie haten ursprünglich zur Wahrung der Familienehre gemor-
det und wurden dann Verbrecher um des Verbrechens willen. Ot genug verbreit-
eten sie Angst und Schrecken, weil sie ihre Umgebung terrorisierten und mit
Schutzgeldzahlungen erpressten. Wer nicht spurte, wurde umgebracht. Diese
zwielichtigen Gestalten verdingten sich auch als Autragsmörder. Steckte ein
Korse in Problemen, die nur durch einen Mord zu lösen waren, konnte man die
Männer aus dem Wald anheuern, um den blutigen Job zu erledigen. Sie waren ja
bereits Geächtete, da kam es auf ein Verbrechen mehr oder weniger auch nicht
mehr an. Viele der Banditen sollen jahrzehntelang in der Macchia gehaust haben.
Allerdings machten sie sich auch gegenseitig das Leben schwer, sie waren ot un-
tereinander verfeindet und metzelten sich wechselseitig nieder, sobald sich die
Gelegenheit ergab. Kein Einziger von ihnen soll eines natürlichen Todes
gestorben sein.
Eine Vendeta war festen Regeln unterworfen. Sie wurde ausgelöst durch einen
Mord, ot genügte aber schon eine Beleidigung, die gegen den korsischen Ehren-
kodex verstieß. Zunächst wurde der Familienrat einberufen, um zu entscheiden,
ob die Blutrache ausgeführt werden sollte. Fiel das Votum positiv aus, wurde die
gegnerische Familie über die Entscheidung in Kenntnis gesetzt. Einer Vendeta zu
entgehen war für alle Beteiligten nahezu unmöglich: Wurden an der Bahre eines
Mordopfers von dessen Schwestern, Mütern oder Töchtern Rachelieder gesun-
gen ( voceri genannt), war das die Auforderung an den männlichen Teil der Fam-
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