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um den Armen zu helfen. Die korsischen Banditen sollen ursprünglich ganz ähn-
liche Gesellen gewesen sein - nur weniger lustig. Zumindest wurden sie im
19. Jahrhundert als solche stilisiert: als Männer, die ihre Plicht erfüllten, indem
sie die Ehre ihres Clans verteidigten. Sie waren nichts Geringeres als Helden, den
Heroen antiker Tragödien absolut ebenbürtig. So etwas Kleinliches wie einen
Diebstahl häten sie nie begangen, das war unter ihrer Würde. Wenn sie morde-
ten, dann entsprang dieses Verbrechen einem höheren Ideal: der Liebe zur Fam-
ilie. Morden für einen guten Zweck, so könnte man das auch nennen. Dafür nah-
men die »Könige der Macchia« in Kauf, ihr Leben als »Herren des grünen
Palastes«, wie die Macchia hochtrabend genannt wurde, zu verbringen. Nur dort
konnten sie »frei wie der Adler auf den Bergen« leben, wie Gregorovius
schreibt - und die Freiheit ist für einen Korsen bekanntlich das höchste Gut. Der
deutsche Reiseberichterstater ist nicht ganz unschuldig am überhöhten Bild, das
sich bis heute von den Banditen gehalten hat. Unter anderen Umständen wären
sie, davon ist Gregorovius überzeugt, »gewaltige Kriegshelden« wie Sampiero
Corso oder Giampietro Gafori geworden, doch da sie nun mal »nichts von der
Welt kennen als die wilden Berge«, machten sie sich eben als Banditen nützlich.
Auch ein Weg, um berühmt zu werden und in den Liedern der Korsen
fortzuleben.
Die Bonelli aus Bocognano etwa waren eine Banditenfamilie, die es zu einigem
Ruhm gebracht hat. Sie wurden pikanterweise auch Bellacoscia gennant, was von
belles cuisses kommt und so viel heißt wie »schöne Schenkel«. Die Männer mit
den schönen Schenkeln hielten zwischen 1848 und 1892 die Staatsmacht in ihrem
unzugänglichen Versteck bei Pentica in Atem, wo sie unverdrossen hochgestellte
Besucher, Schritsteller, Präfekten und andere Politiker empingen. Antoine Bon-
elli hate drei Schwestern verführt, die in der Wildnis mit ihm lebten. Sein Sohn
Antoine ging ebenfalls in den Untergrund, weil er den Bürgermeister von Bo-
cognano getötet hate, als dieser versuchte, das Land, auf dem das Versteck der
Banditen lag, in Besitz zu nehmen. Nach weiteren Morden, die er mit seinem
Bruder Jacques beging, wurde auf ihre Köpfe eine Prämie von 50000 Francs aus-
gesetzt. Vergeblich. 1892 jedoch lieferte sich Antoine Bellacoscia den Gerichten
aus, er wurde zwar freigesprochen, aber nach Marseille verbannt. Sein Bruder
Jacques wurde ins Gefängnis von Chiaveri gesteckt. Dort ließ er sich einen Stem-
pel anfertigen, mit dem er seine Briefe versah. Darauf stand: »Der Unabhängige
Jacques Bonelli, genannt Bellacoscia«.
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