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ohne den Namen des Ortes zu nennen: »Hol mich, so schnell du kannst, ab, du
weißt schon, in dem Dorf, aus dem die Großeltern der Frau meines ältesten
Bruders stammen.« Sie waren gerade auf die Hauptstraße abgebogen, als ihnen
ein Konvoi von Polizeiwagen entgegenkam. Ihre Sirenen waren ohrenbetäubend.
Im nächsten Ort wimmelte es von Polizisten. Der Mann wurde unruhig, er setzte
an, etwas zu sagen. Doch Helene unterbrach ihn, noch bevor er einen Satz zu
Ende führen konnte: »Bite erzählen Sie mir nichts, ich will nichts wissen.« In-
stinktiv reagierte sie, wie die Korsen in einem solchen Fall seit Jahrhunderten re-
agieren. Besser, sich nicht zum Mitwisser zu machen, besser, sich aus Angelegen-
heiten, die einen nichts angehen, herauszuhalten. Sie fuhren schweigend weiter,
Helene bog in Richtung Gebirge ab. Hier herrschte Stille, die Polizeisirenen war-
en nur noch gedämpt zu hören. Die Straße schlängelte sich nun einen steilen
Hang hinauf. Helene klammerte sich so fest an das Lenkrad, dass ihre Knöchel
weiß wurden. Sie bemühte sich, ruhig zu atmen, während ihr zig Fragen durch
den Kopf schossen: Was hate dieser Mann getan? Hate er ein Atentat verübt?
War er ein Mörder? Die Polizei suchte ihn ja ofensichtlich mit einem Großaufge-
bot. Oder war das alles ein Zufall?
Sie passierten das Ortsschild, das Dorf schien verwaist, um diese Uhrzeit war
niemand auf der Straße zu sehen. Helene fuhr rechts ran, der Mann öfnete die
Beifahrertür und bedankte sich hölich. Dann stieg er aus und verschwand in ein-
er unbeleuchteten Seitengasse. Helene wendete und fuhr wieder bergab. Nach
einigen besonders engen Haarnadelkurven hielt sie an und rief ihre Freundin
Laetizia an. Mit ziternder Stimme sagte sie: »Komm bite zur Tankstelle am Rond
Point, ich muss tanken und habe mein Geld vergessen.«
Eineinhalb Jahre lang blieb Laetizia die Einzige, die von Helenes Begegnung
mit dem Banditen wusste. Erst danach konnte sie ihrer Familie davon erzählen.
Laetizia schickte ihr noch viele Zeitungsausschnite mit Fotos unterschiedlicher
Krimineller, aber der Mann aus Helenes Vorgarten war nie dabei. Bis heute weiß
Helene weder, wer er war, noch, was er verbrochen hat.
Diese Geschichte ist ein Einzelfall, aber sie zeigt, dass man auch als Normal-
bürger, der Verbrechen ablehnt, im Zweifel keine Chance hat, sich ihm zu ent-
ziehen. Nur wer schweigt und das Verbrechen deckt, kann sich sicher sein, sein-
erseits in Ruhe gelassen zu werden. Was zählt, ist der Zusammenhalt.
Jeder kennt die mitelalterlichen Geschichten von Robin Hood, dem lustigen
Räuberhauptmann aus dem englischen Sherwood Forest, der die Reichen bestahl,
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