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Es entsandte ein Heer von weit über 1000 Mann der halbmilitärischen Bereit-
schatspolizei CRS. Deren ausdrücklicher Autrag lautete: Unterdrückung des
separatistischen Aufstandes. Es folgten bürgerkriegsähnliche Unruhen, die drei
Tote forderten. Aus patriotischen, aber friedlichen Insulanern wurden in diesem
Moment gewaltbereite Nationalisten. Das »Drama von Aléria« gilt seitdem als
Geburtsstunde des militanten Nationalismus.
Stat die aufgeladene Stimmung diplomatisch zu entschärfen, verfolgte
Frankreich seine unsensible Regionalentwicklungspolitik ungerührt weiter. In
den Achtzigerjahren machte die sozialistische Miterrand-Regierung zwar einige
Autonomisierungsangebote, aber es war zu spät. Die radikalsten unter den separ-
atistischen Splitergruppen waren da schon nicht mehr zu integrieren. Ein Teufel-
skreis - auch wenn heute so gut wie niemand mehr ernsthat von einer echten
Unabhängigkeit Korsikas träumt.
Die Korsen haben mit dem »Drama von Aléria« nicht nur eine Dolchstoßlegende
mit realer Grundlage, sondern sie erschafen sich auch ihre modernen Märtyrer.
Ein Bilderbuchbeispiel dafür ist Yvan Colonna. Der Mann, auch »Hirte von Car-
gèse« genannt, war wohl der Anführer des Mordkommandos, das 1998 den dam-
aligen französischen Präfekten auf Korsika, Claude Érignac, erschoss. Zumindest
wurde er in drei Prozessen dafür zu lebenslanger Hat verurteilt - trotz teils
widersprüchlicher Aussagen und Beweise. Vorher aber gelang es dem Mann, der
von Beruf Ziegenhirte war, sich vier Jahre lang in der Macchia vor der Polizei zu
verstecken - genau wie früher die »Banditen von Ehre«. Er hate zahlreiche Un-
terstützer, die bekannte korsische Volkssängerin Patrizia Gataceca wurde sogar
vorübergehend festgenommen, weil sie ihrem früheren Studienfreund Colonna in
ihrem Haus bei Bastia Unterschlupf gewährt hate. »Ich bin einer goldenen kor-
sischen Regel gefolgt«, rechtfertigte sie sich, »der Regel der Gastfreundschat.«
Einen Korsen auf der Flucht weisen Korsen nicht ab. So wie der Sängerin geht es
vielen von Colonnas Landsleuten, sie sehen in ihm aufgrund der unklaren Be-
weislage keinen Mörder, sondern ein Opfer der in ihren Augen parteiischen fran-
zösischen Justiz. Einer seiner Anwälte, Antoine Sollacaro, wurde 2012 an einer
Tankstelle erschossen. War das die Strafe dafür, dass er seinen Mandanten erfol-
glos verteidigt hate und ihn nicht vor dem Gefängnis bewahren konnte?
Einen Teil der Schuld, dass Colonna zu einem korsischen Märtyrer wurde,
trägt übrigens Nicolas Sarkozy. Nachdem Colonna 2003 verhatet worden war,
trat der damalige französische Innenminister vor die Presse und tat stolz kund,
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